Der Geist im Glas

Gebr. Grimm (1850) – Märchen 99 – Gästin: Jenny Günther (Einmischen! Politik Podcast)

Gästin: Jenny Günther

Podcasts: Einmischen! Politik Podcast

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99. Der Geist im Glas.

Es war einmal ein armer Holzhacker, der arbeitete vom Morgen bis in die späte Nacht. Als er sich endlich etwas Geld zusammengespart hatte, sprach er zu seinem Jungen: „du bist mein einziges Kind, ich will das Geld, das ich mit saurem Schweiß erworben habe, zu deinem Unterricht anwenden; lernst du etwas rechtschaffenes, so kannst du mich im Alter ernähren, wenn meine Glieder steif geworden sind, und ich daheim sitzen muß.“ Da gieng der Junge auf eine hohe Schule und lernte fleißig, so daß ihn seine Lehrer rühmten, und blieb eine Zeit lang dort. Als er ein paar Schulen durchgelernt hatte, doch aber noch nicht in allem vollkommen war, so war das bischen Armuth, das der Vater erworben hatte, drauf gegangen, und er mußte wieder zu ihm heim kehren. „Ach,“ sprach der Vater betrübt, „ich kann dir nichts mehr geben und kann in der theuern Zeit auch keinen Heller mehr verdienen als das tägliche Brot“ „Lieber Vater,“ antwortete der Sohn, „macht euch darüber keine Gedanken, wenns Gottes Wille also ist, so wirds zu meinem Besten ausschlagen; ich will mich schon drein schicken.“ Als der Vater hinaus in den Wald wollte, um etwas am Malterholz (am Zuhauen und Aufrichten) zu verdienen, so sprach der Sohn „ich will mit euch gehen und euch helfen.“ „Ja, mein Sohn,“ sagte der Vater, „das sollte dir beschwerlich an kommen, du bist an harte Arbeit nicht gewöhnt, du hältst das nicht aus; ich habe auch nur eine Axt und kein Geld übrig, um noch eine zu kaufen.“ „Geht nur zum Nachbar,“ antwortete der Sohn, „der leiht euch seine Axt so lange, bis ich mir selbst eine verdient habe.“

Da borgte der Vater beim Nachbar eine Axt, und am andern Morgen, bei Anbruch des Tags, giengen sie zusammen hinaus in den Wald. Der Sohn half dem Vater und war ganz munter und frisch dabei. Als nun die Sonne über ihnen stand, sprach der Vater „wir wollen rasten und Mittag halten, hernach gehts noch einmal so gut.“ Der Sohn nahm sein Brot in die Hand und sprach „ruht euch nur aus, Vater, ich bin nicht müde, ich will in dem Wald ein wenig auf und abgehen und Vogelnester suchen.“ „O du Geck,“ sprach der Vater, „was willst du da herum laufen, hernach bist du müde und kannst den Arm nicht mehr aufheben; bleib hier und setze dich zu mir.“

Der Sohn aber gieng in den Wald, aß sein Brot, war ganz fröhlich und sah in die grünen Zweige hinein, ob er etwa ein Nest entdeckte. So gieng er hin und her, bis er endlich zu einer großen gefährlichen Eiche kam, die gewiß schon viele hundert Jahre alt war und die keine fünf Menschen umspannt hätten. Er blieb stehen und sah sie an und dachte „es muß doch mancher Vogel sein Nest hinein gebaut haben.“ Da däuchte ihn auf einmal als hörte er eine Stimme. Er horchte und vernahm wie es mit so einem recht dumpfen Ton rief „laß mich heraus, laß mich heraus.“ Er sah sich rings um, konnte aber nichts entdecken, doch es war ihm als ob die Stimme unten aus der Erde hervor käme. Da rief er „wo bist du?“ Die Stimme antwortete „ich stecke da unten bei den Eichwurzeln. Laß mich heraus, laß mich heraus.“ Der Schüler fieng an unter dem Baum aufzuräumen und bei den Wurzeln zu suchen, bis er endlich in einer kleinen Höhlung eine Glasflasche entdeckte. Er hob sie in die Höhe und hielt sie gegen das Licht, da sah er ein Ding, gleich einem Frosch gestaltet, das sprang darin auf und nieder. „Laß mich heraus, laß mich heraus,“ riefs von neuem, und der Schüler, der an nichts Böses dachte, nahm den Pfropfen von der Flasche ab. Alsbald stieg ein Geist heraus und fieng an zu wachsen, und wuchs so schnell, daß er in wenigen Augenblicken als ein entsetzlicher Kerl, so groß wie der halbe Baum, vor dem Schüler stand. „Weißt du,“ rief er mit einer fürchterlichen Stimme, „was dein Lohn dafür ist, daß du mich heraus gelassen hast?“ „Nein,“ antwortete der Schüler ohne Furcht, „wie soll ich das wissen?“ „So will ich dirs sagen,“ rief der Geist, „den Hals muß ich dir dafür brechen.“ „Das hättest du mir früher sagen sollen,“ antwortete der Schüler, „so hätte ich dich stecken lassen; mein Kopf aber soll vor dir wohl feststehen, da müssen mehr Leute gefragt werden.“ „Mehr Leute hin, mehr Leute her,“ rief der Geist, „deinen verdienten Lohn den sollst du haben. Denkst du, ich wäre aus Gnade da so lange Zeit eingeschlossen worden, nein, es war zu meiner Strafe; ich bin der großmächtige Merkurius, wer mich losläßt, dem muß ich den Hals brechen.“ „Sachte,“ antwortete der Schüler, „so geschwind geht das nicht, erst muß ich auch wissen daß du wirklich in der kleinen Flasche gesessen hast und daß du der rechte Geist bist: kannst du auch wieder hinein, ein, so will ichs glauben, und dann magst du mit mir anfangen. was du willst.“ Der Geist sprach voll Hochmuth „das ist eine geringe Kunst,“ zog sich zusammen und machte sich so dünn und klein, wie er anfangs gewesen war, also daß er durch dieselbe Öffnung und durch den Hals der Flasche wieder hinein kroch. Kaum aber war er darin, so drückte der Schüler den abgezogenen Pfropfen wieder auf und warf die Flasche unter die Eichwurzeln an ihren alten Platz, und der Geist war betrogen.

Nun wollte der Schüler zu seinem Vater zurückgehen, aber der Geist rief ganz kläglich „ach, laß mich doch heraus, laß mich doch heraus.“ „Nein,“ antwortete der Schüler, „zum zweitenmale nicht: wer mir einmal nach dem Leben gestrebt hat, den laß ich nicht los, wenn ich ihn wieder eingefangen habe.“ „Wenn du mich frei machst,“ rief der Geist, „so will ich dir so viel geben, daß du dein Lebtag genug hast.“ „Nein,“ antwortete der Schüler, „du würdest mich betriegen wie das erstemal.“ „Du verscherzest dein Glück,“ sprach der Geist, „ich will dir nichts thun, sondern dich reichlich belohnen.“ Der Schüler dachte „ich wills wagen, vielleicht hält er Wort, und anhaben soll er mir doch nichts.“ Da nahm er den Pfropfen ab, und der Geist stieg wie das vorigemal heraus, dehnte sich auseinander, und ward groß wie ein Riese. „Nun sollst du deinen Lohn haben,“ sprach er, und reichte dem Schüler einen kleinen Lappen, ganz wie ein Pflaster, und sagte „wenn du mit dem einen Ende eine Wunde bestreichst, so heilt sie: und wenn du mit dem andern Ende Stahl und Eisen bestreichst, so wird es in Silber verwandelt.“ „Das muß ich erst versuchen,“ sprach der Schüler, gieng an einen Baum, ritzte die Rinde mit seiner Axt und bestrich sie mit dem einen Ende des Pflasters: alsbald schloß sie sich wieder zusammen und war geheilt. „Nun, es hat seine Richtigkeit,“ sprach er zum Geist, „jetzt können wir uns trennen.“ Der Geist dankte ihm für seine Erlösung, und der Schüler dankte dem Geist für sein Geschenk und gieng zurück zu seinem Vater.

„Wo bist du herum gelaufen?“ sprach der Vater, „warum hast du die Arbeit vergessen? Ich habe es ja gleich gesagt daß du nichts zu Stande bringen würdest.“ „Gebt euch zufrieden, Vater, ich wills nachholen.“ „Ja nachholen,“ sprach der Vater zornig, „das hat keine Art.“ „Habt acht, Vater, den Baum da will ich gleich umhauen, daß er krachen soll.“ Da nahm er sein Pflaster, bestrich die Axt damit und that einen gewaltigen Hieb: aber weil das Eisen in Silber verwandelt war, so legte sich die Schneide um. „Ei, Vater, seht einmal, was habt ihr mir für eine schlechte Axt gegeben, die ist ganz schief geworden.“ Da erschrack der Vater und sprach „ach, was hast du gemacht! nun muß ich die Axt bezahlen und weiß nicht womit; das ist der Nutzen, den ich von deiner Arbeit habe.“ „Werdet nicht bös,“ antwortete der Sohn, „die Axt will ich schon bezahlen.“ „O, du Dummbart,“ rief der Vater, „wovon willst du sie bezahlen? du hast nichts als was ich dir gebe; das sind Studentenkniffe, die dir im Kopf stecken, aber vom Holzhacken hast du keinen Verstand.“

Über ein Weilchen sprach der Schüler „Vater, ich kann doch nichts mehr arbeiten, wir wollen lieber Feierabend machen.“ „Ei was,“ antwortete er, „meinst du ich wollte die Hände in den Schooß legen wie du? ich muß noch schaffen, du kannst dich aber heim packen.“ „Vater, ich bin zum erstenmal hier in dem Wald, ich weiß den Weg nicht allein, geht doch mit mir.“ Weil sich der Zorn gelegt hatte, so ließ der Vater sich endlich bereden und gieng mit ihm heim. Da sprach er zum Sohn „geh und verkauf die verschändete Axt und sieh zu was du dafür kriegst; das übrige muß ich verdienen, um sie dem Nachbar zu bezahlen.“ Der Sohn nahm die Axt und trug sie in die Stadt zu einem Goldschmied, der probierte sie, legte sie auf die Wage und sprach „sie ist vierhundert Thaler werth, so viel habe ich nicht baar.“ Der Schüler sprach gebt mir was ihr habt, das übrige will ich euch borgen.“ Der Goldschmied gab ihm dreihundert Thaler und blieb einhundert schuldig. Darauf gieng der Schüler heim und sprach „Vater, ich habe Geld, geht und fragt was der Nachbar für die Axt haben will.“ „Das weiß ich schon,“ antwortete der Alte, „einen Thaler, sechs Groschen.“ „So gebt ihm zwei Thaler zwölf Groschen, das ist das Doppelte und ist genug; seht ihr, ich habe Geld im Überfluß,“ und gab dem Vater einhundert Thaler und sprach „es soll euch niemals fehlen, lebt nach eurer Bequemlichkeit.“ „Mein Gott,“ sprach der Alte, „wie bist du zu dem Reichthum gekommen?“ Da erzählte er ihm wie alles zugegangen wäre und wie er im Vertrauen auf sein Glück einen so reichen Fang gethan hätte. Mit dem übrigen Geld aber zog er wieder hin auf die hohe Schule, und lernte weiter, und weil er mit seinem Pflaster alle Wunden heilen konnte, ward er der berühmteste Doctor auf der ganzen Welt.

Die kluge Bauerntochter

Gebr. Grimm (1850) – Märchen 94 – Gast: Marc Litz

Gast: Marc Litz

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94. Die kluge Bauerntochter

Es war einmal ein armer Bauer, der hatte kein Land, nur ein kleines Häuschen und eine alleinige Tochter, da sprach die Tochter „wir sollten den Herrn König um ein Stückchen Rottland bitten.“ Da der König ihre Armuth hörte, schenkte er ihnen auch ein Eckchen Rasen, den hackte sie und ihr Vater um, und wollten ein wenig Korn und der Art Frucht darauf säen. Als sie den Acker beinah herum hatten, so fanden sie in der Erde einen Mörsel von purem Gold. „Hör,“ sagte der Vater zu dem Mädchen, „weil unser Herr König ist so gnädig gewesen und hat uns diesen Acker geschenkt, so müssen wir ihm den Mörsel dafür geben.“ Die Tochter aber wollt es nicht bewilligen und sagte „Vater, wenn wir den Mörsel haben und haben den Stößer nicht, dann müssen wir auch den Stößer herbei schaffen, darum schweigt lieber still.“ Er wollte ihr aber nicht gehorchen, nahm den Mörsel, trug ihn zum Herrn König und sagte den hätte er gefunden in der Heide, ob er ihn als eine Verehrung annehmen wollte. Der König nahm den Mörsel und fragte ob er nichts mehr gefunden hätte? „Nein,“ antwortete der Bauer. Da sagte der König er sollte nun auch den Stößer herbeischaffen. Der Bauer sprach den hätten sie nicht gefunden; aber das half ihm so viel, als hätt ers in den Wind gesagt, er ward ins Gefängnis gesetzt, und sollte so lange da sitzen, bis er den Stößer herbeigeschafft hätte. Die Bedienten mußten ihm täglich Wasser und Brot bringen, was man so in dem Gefängnis kriegt, da hörten sie, wie der Mann als fort schrie „ach, hätt ich meiner Tochter gehört! ach, ach, hätt ich meiner Tochter gehört!“ Da giengen die Bedienten zum König und sprachen das, wie der Gefangene als fort schrie „ach, hätt ich doch meiner Tochter gehört!“ und wollte nicht essen und nicht trinken. Da befahl er den Bedienten sie sollten den Gefangenen vor ihn bringen, und da fragte ihn der Herr König warum er also fort schrie „ach, hätt ich meiner Tochter gehört!“ „Was hat eure Tochter denn gesagt?“ „Ja sie hat gesprochen ich sollte den Mörsel nicht bringen, sonst müßt ich auch den Stößer schaffen.“ „Habt ihr so eine kluge Tochter, so laßt sie einmal herkommen.“ Also mußte sie vor den König kommen, der fragte sie ob sie denn so klug wäre, und sagte er wollte ihr ein Räthsel aufgeben, wenn sie das treffen könnte, dann wollte er sie heirathen. Da sprach sie gleich ja, sie wollts errathen. Da sagte der König „komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heirathen.“ Da gieng sie hin, und zog sich aus splinternackend, da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn, und setzte sich hinein und wickelte es ganz um sich herum, da war sie nicht nackend: und borgte einen Esel fürs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, darin er sie fortschleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht gefahren: der Esel mußte sie aber in der Fahrgleise schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht in dem Weg und nicht außer dem Wege. Und wie sie so daher kam, sagte der König sie hätte das Räthsel getroffen, und es wäre alles erfüllt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefängnis, und nahm sie bei sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze königliche Gut an.

Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr König einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche hatten Ochsen vorgespannt, und etliche Pferde. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Füllchen, das lief weg und legte sich mitten zwischen zwei Ochsen, die vor dem Wagen waren. Als nun die Bauern zusammen kamen, fiengen sie an sich zu zanken, zu schmeißen und zu lärmen, und der Ochsenbauer wollte das Füllchen behalten und sagte die Ochsen hättens gehabt: und der andere sagte nein, seine Pferde hättens gehabt, und es wäre sein. Der Zank kam vor den König, und der that den Ausspruch wo das Füllen gelegen hätte, da sollt es bleiben; und also bekams der Ochsenbauer, dems doch nicht gehörte. Da gieng der andere weg, weinte und lamentierte über sein Füllchen. Nun hatte er gehört wie daß die Frau Königin so gnädig wäre, weil sie auch von armen Bauersleuten gekommen wäre: gieng er zu ihr und bat sie ob sie ihm nicht helfen könnte daß er sein Füllchen wieder bekäme. Sagte sie „ja, wenn ihr mir versprecht daß ihr mich nicht verrathen wollt, so will ichs euch sagen. Morgen früh, wenn der König auf der Wachtparade ist, so stellt euch hin mitten in die Straße, wo er vorbei kommen muß, nehmt ein großes Fischgarn und thut als fischtet ihr, und fischt also fort und schüttet das Garn aus, als wenn ihrs voll hättet,“ und sagte ihm auch was er antworten sollte, wenn er vom König gefragt würde. Also stand der Bauer am andern Tag da und fischte auf einem trockenen Platz. Wie der König vorbei kam und das sah, schickte er seinen Laufer hin, der sollte fragen was der närrische Mann vor hätte. Da gab er zur Antwort „ich fische.“ Fragte der Laufer wie er fischen könnte, es wäre ja kein Wasser da. Sagte der Bauer „so gut als zwei Ochsen können ein Füllen kriegen, so gut kann ich auch auf dem trockenen Platz fischen.“ Der Laufer gieng hin und brachte dem König die Antwort, da ließ er den Bauer vor sich kommen und sagte ihm das hätte er nicht von sich, von wem er das hätte: und sollts gleich bekennen. Der Bauer aber wollts nicht thun und sagte immer Gott bewahr! er hätt es von sich. Sie legten ihn aber auf ein Gebund Stroh und schlugen und drangsalten ihn so lange, bis ers bekannte, daß ers von der Frau Königin hätte. Als der König nach Haus kam, sagte er zu seiner Frau „warum bist du so falsch mit mir, ich will dich nicht mehr zur Gemahlin: deine Zeit ist um, geh wieder hin, woher du kommen bist, in dein Bauernhäuschen.“ Doch erlaubte er ihr eins, sie sollte sich das Liebste und Beste mitnehmen was sie wüßte, und das sollte ihr Abschied sein. Sie sagte „ja, lieber Mann, wenn dus so befiehlst, will ich es auch thun,“ und fiel über ihn her und küßte ihn und sprach sie wollte Abschied von ihm nehmen. Dann ließ sie einen starken Schlaftrunk kommen, Abschied mit ihm zu trinken: der König that einen großen Zug, sie aber trank nur ein wenig. Da gerieth er bald in einen tiefen Schlaf und als sie das sah, rief sie einen Bedienten und nahm ein schönes weißes Linnentuch und schlug ihn da hinein, und die Bedienten mußten ihn in einen Wagen vor die Thüre tragen, und fuhr sie ihn heim in ihr Häuschen. Da legte sie ihn in ihr Bettchen, und er schlief Tag und Nacht in einem fort, und als er aufwachte, sah er sich um, und sagte „ach Gott, wo bin ich denn?“ rief seinen Bedienten, aber es war keiner da. Endlich kam seine Frau vors Bett und sagte „lieber Herr König, ihr habt mir befohlen ich sollte das Liebste und Beste aus dem Schloß mitnehmen, nun hab ich nichts Besseres und Lieberes als dich, da hab ich dich mitgenommen.“ Dem König stiegen die Thränen in die Augen, und er sagte „liebe Frau, du sollst mein sein und ich dein,“ und nahm sie wieder mit ins königliche Schloß und ließ sich aufs neue mit ihr vermählen; und werden sie ja wohl noch auf den heutigen Tag leben.

Die Gänsemagd

Gebr. Grimm (1850) – Märchen 89 – Gast: Kai Du

Gästin: Kai Du

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89. Die Gänsemagd.

Es lebte einmal eine alte Königin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben, und sie hatte eine schöne Tochter. Wie die erwuchs, wurde sie weit über Feld an einen Königssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie vermählt werden sollten und das Kind in das fremde Reich abreisen mußte, packte ihr die Alte gar viel köstliches Geräth und Geschmeide ein, Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was nur zu einem königlichen Brautschatz gehörte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Hände des Bräutigams überliefern sollte, und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Königstochter hieß Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß sie bluteten: darauf hielt sie ein weißes Läppchen unter und ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und sprach „liebes Kind, verwahre sie wohl, sie werden dir unterweges Noth thun.“

Also nahmen beide von einander betrübten Abschied: das Läppchen steckte die Königstochter in ihren Busen vor sich, setzte sich aufs Pferd und zog nun fort zu ihrem Bräutigam. Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst und sprach zu ihrer Kammerjungfer „steig ab, und schöpfe mir mit meinem Becher, den du für mich mitgenommen hast, Wasser aus dem Bache, ich möchte gern einmal trinken“. „Wenn ihr Durst habt,“ sprach die Kammerjungfer, „so steigt selber ab, legt euch ans Wasser und trinkt, ich mag eure Magd nicht sein.“ Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter, neigte sich über das Wasser im Bach und trank, und durfte nicht aus dem goldnen Becher trinken. Da sprach sie „ach Gott!“ da antworteten die drei Blutstropfen „wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zerspringen.“ Aber die Königsbraut war demüthig, sagte nichts und stieg wieder zu Pferd. So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch einmal ihrer Kammerjungfer „steig ab und gib mir aus meinem Goldbecher zu trinken,“ denn sie hatte aller bösen Worte längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch hochmüthiger, „wollt ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht eure Magd sein.“ Da stieg die Königstochter hernieder vor großem Durst, legte sich über das fließende Wasser, weinte und sprach „ach Gott!“ und die Blutstropfen antworteten wiederum „wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zerspringen.“ Und wie sie so trank und sich recht überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin dir drei Tropfen waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort ohne daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer hatte aber zugesehen und freute sich daß sie Gewalt über die Braut bekäme: denn damit, daß diese die Blutstropfen verloren hatte, war sie schwach und machtlos geworden. Als sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hieß Fallada, sagte die Kammerfrau „auf Falada gehör ich, und auf meinen Gaul gehörst du;“ und das mußte sie sich gefallen lassen. Dann befahl ihr die Kammerfrau mit harten Worten die königlichen Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und endlich mußte sie sich unter freiem Himmel verschwören daß sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas davon sprechen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht abgelegt hätte, wäre sie auf der Stelle umgebracht worden. Aber Falada sah das alles an und nahms wohl in Acht.

Die Kammerfrau stieg nun auf Falada und die wahre Braut auf das schlechte Roß, und so zogen sie weiter, bis sie endlich in dem königlichen Schloß eintrafen. Da war große Freude über ihre Ankunft, und der Königssohn sprang ihnen entgegen, hob die Kammerfrau vom Pferde und meinte sie wäre seine Gemahlin: sie ward die Treppe hinaufgeführt, die wahre Königstochter aber mußte unten stehen bleiben. Da schaute der alte König am Fenster, und sah sie im Hof halten und sah wie sie fein war, zart und gar schön: gieng alsbald hin ins königliche Gemach und fragte die Braut nach der, die sie bei sich hätte und da unten im Hofe stände, und wer sie wäre? „Die hab ich mir unterwegs mitgenommen zur Gesellschaft; gebt der Magd was zu arbeiten, daß sie nicht müßig steht.“ Aber der alte König hatte keine Arbeit für sie und wußte nichts, als daß er sagte „da hab ich so einen kleinen Jungen, der hütet die Gänse, dem mag sie helfen.“ Der Junge hieß Kürdchen (Conrädchen), dem mußte die wahre Braut helfen Gänse hüten.

Bald aber sprach die falsche Braut zu dem jungen König „liebster Gemahl, ich bitte euch thut mir einen Gefallen.“ Er antwortete „das will ich gerne thun“. „Nun so laßt den Schinder rufen und da dem Pferde, worauf ich hergeritten bin, den Hals abhauen, weil es mich unterweges geärgert hat.“ Eigentlich aber fürchtete sie daß das Pferd sprechen möchte wie sie mit der Königstochter umgegangen war. Nun war das so weit gerathen, daß es geschehen und der treue Falada sterben sollte, da kam es auch der rechten Königstochter zu Ohr, und sie versprach dem Schinder heimlich ein Stück Geld, das sie ihm bezahlen wollte, wenn er ihr einen kleinen Dienst erwiese. In der Stadt war ein großes finsteres Thor, wo sie Abends und Morgens mit den Gänsen durch mußte, „unter das finstere Thor möchte er dem Falada seinen Kopf hinnageln, daß sie ihn doch noch mehr als einmal sehen könnte.“ Also versprach das der Schindersknecht zu thun, hieb den Kopf ab und nagelte ihn unter das finstere Thor fest.

Des Morgens früh, da sie und Kürdchen unterm Thor hinaus trieben, sprach sie im Vorbeigehen

„o du Falada, der du hangest,“
da antwortete der Kopf

„o du Jungfer Königin, da du gangest,
wenn das deine Mutter wüßte,
ihr Herz thät ihr zerspringen.“
Da zog sie still weiter zur Stadt hinaus, und sie trieben die Gänse aufs Feld. Und wenn sie auf der Wiese angekommen war, saß sie nieder und machte ihre Haare auf, die waren eitel Gold, und Kürdchen sah sie und freute sich wie sie glänzte, und wollte ihr ein paar ausraufen. Da sprach sie

„weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen,
und laß’n sich mit jagen,
bis ich mich geflochten und geschnatzt,
und wieder aufgesatzt.“
Und da kam ein so starker Wind, daß er dem Kürdchen sein Hütchen weg wehte über alle Land, und es mußte ihm nachlaufen. Bis es wieder kam war sie mit dem Kämmen und Aufsetzen fertig, und er konnte keine Haare kriegen. Da war Kürdchen bös und sprach nicht mit ihr; und so hüteten sie die Gänse bis daß es Abend ward, dann giengen sie nach Haus.

Den andern Morgen, wie sie unter dem finstern Thor hinaus trieben, sprach die Jungfrau

„o du Falada, da du hangest,“
Falada antwortete

„o du Jungfer Königin, da du gangest,
wenn das deine Mutter wüßte,
das Herz thät ihr zerspringen.“
Und in dem Feld setzte sie sich wieder auf die Wiese und fieng an ihr Haar auszukämmen, und Kürdchen lief und wollte danach greifen, da sprach sie schnell

„weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen,
und laß’n sich mit jagen,
bis ich mich geflochten und geschnatzt,
und wieder aufgesatzt.“
Da wehte der Wind und wehte ihm das Hütchen vom Kopf weit weg, daß Kürdchen nachlaufen mußte; und als es wieder kam, hatte sie längst ihr Haar zurecht, und es konnte keins davon erwischen; und so hüteten sie die Gänse bis es Abend ward.

Abends aber, nachdem sie heim gekommen waren, gieng Kürdchen vor den alten König und sagte „mit dem Mädchen will ich nicht länger Gänse hüten.“ „Warum denn?“ fragte der alte König. „Ei, das ärgert mich den ganzen Tag.“ Da befahl ihm der alte König zu erzählen wies ihm denn mit ihr gienge. Da sagte Kürdchen „Morgens, wenn wir unter dem finstern Thor mit der Heerde durchkommen, so ist da ein Gaulskopf an der Wand, zu dem redet sie

„Falada, da du hangest,“
da antwortet der Kopf

„o du Königsjungfer, da du gangest,
wenn das deine Mutter wüßte,
das Herz thät ihr zerspringen.“
Und so erzählte Kürdchen weiter was auf der Gänsewiese geschähe, und wie es da dem Hut im Winde nachlaufen müßte.

Der alte König befahl ihm den nächsten Tag wieder hinaus zu treiben, und er selbst, wie es Morgen war, setzte sich hinter das finstere Thor und hörte da wie sie mit dem Haupt des Falada sprach: und dann gieng er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen wie die Gänsemagd und der Gänsejunge die Heerde getrieben brachte, und wie nach einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder

„weh, weh, Windchen,
faß Kürdchen sein Hütchen,
und laß’n sich mit jagen,
bis daß ich mich geflochten und geschnatzt,
und wieder aufgesatzt.“
Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kürdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kämmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte König alles beobachtete. Darauf gieng er unbemerkt zurück, und als Abends die Gänsemagd heim kam, rief er sie bei Seite, und fragte warum sie dem allem so thäte? „Das darf ich euch nicht sagen, und darf auch keinem Menschen mein Leid klagen, denn so hab ich mich unter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben gekommen wäre.“ Er drang in sie und ließ ihr keinen Frieden, aber er konnte nichts aus ihr herausbringen. Da sprach er „wenn du mir nichts sagen willst, so klag dem Eisenofen da dein Leid,“ und gieng fort. Da kroch sie in den Eisenofen, fieng an zu jammern und zu weinen, schüttete ihr Herz aus und sprach „da sitze ich nun von aller Welt verlassen, und bin doch eine Königstochter, und eine falsche Kammerjungfer hat mich mit Gewalt dahin gebracht daß ich meine königlichen Kleider habe ablegen müssen, und hat meinen Platz bei meinem Bräutigam eingenommen, und ich muß als Gänsemagd gemeine Dienste thun. Wenn das meine Mutter wüßte, das Herz im Leib thät ihr zerspringen.“ Der alte König stand aber außen an der Ofenröhre, lauerte ihr zu und hörte was sie sprach. Da kam er wieder herein und hieß sie aus dem Ofen gehen. Da wurden ihr königliche Kleider angethan, und es schien ein Wunder wie sie so schön war. Der alte König rief seinen Sohn und offenbarte ihm daß er die falsche Braut hätte: die wäre bloß ein Kammermädchen, die wahre aber stände hier, als die gewesene Gänsemagd. Der junge König war herzensfroh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden. Obenan saß der Bräutigam, die Königstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene nicht mehr in dem glänzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten, und gutes Muths waren, gab der alte König der Kammerfrau ein Räthsel auf, was eine solche werth wäre, die den Herrn so und so betrogen hätte, erzählte damit den ganzen Verlauf und fragte „welches Urtheils ist diese würdig?“ Da sprach die falsche Braut „die ist nichts besseres werth, als daß sie splitternackt ausgezogen und in ein Faß gesteckt wird, das inwendig mit spitzen Nägeln beschlagen ist: und zwei weiße Pferde müssen vorgespannt werden, die sie Gasse auf Gasse ab zu Tode schleifen.“ „Das bist du,“ sprach der alte König, „und hast dein eigen Urtheil gefunden, und danach soll dir wiederfahren.“ Und als das Urtheil vollzogen war, vermählte sich der junge König mit seiner rechten Gemahlin, und beide beherrschten ihr Reich in Frieden und Seligkeit.

Der junge Riese

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 90 – Gast: Jan Gießmann

Gast: Jan Gießmann

Podcasts: Akte Aurora

Märchen-Quelle

[https://de.wikisource.org/wiki/Der_junge_Riese_(1857)]https://de.wikisource.org/wiki/Der_junge_Riese_(1857))


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90. Der junge Riese

Ein Bauersmann hatte einen Sohn, der war so groß wie ein Daumen und ward gar nicht größer und wuchs in etlichen Jahren nicht ein Haarbreit. Einmal wollte der Bauer ins Feld gehen und pflügen, da sagte der Kleine „Vater, ich will mit hinaus.“ „Du willst mit hinaus?“ sprach der Vater, „bleib du hier, dort bist du zu nichts nutz: du könntest mir auch verloren gehen.“ Da fieng der Däumling an zu weinen, und um Ruhe zu haben, steckte ihn der Vater in die Tasche und nahm ihn mit. Draußen auf dem Felde holte er ihn wieder heraus und setzte ihn in eine frische Furche. Wie er da so saß, kam über den Berg ein großer Riese daher. „Siehst du dort den großen Butzemann?“ sagte der Vater, und wollte den Kleinen schrecken, damit er artig wäre, „der kommt und holt dich.“ Der Riese aber hatte mit seinen langen Beinen kaum ein paar Schritte gethan, so war er bei der Furche. Er hob den kleinen Däumling mit zwei Fingern behutsam in die Höhe, betrachtete ihn und gieng ohne ein Wort zu sprechen, mit ihm fort. Der Vater stand dabei, konnte vor Schrecken keinen Laut hervor bringen und dachte nicht anders als sein Kind für verloren, also daß ers sein Lebtag nicht wieder mit Augen sehen würde.

Der Riese aber trug es heim und ließ es an seiner Brust saugen, und der Däumling wuchs und ward groß und stark nach Art der Riesen. Nach Verlauf von zwei Jahren gieng der Alte mit ihm in den Wald, wollte ihn versuchen und sprach „zieh dir [21] eine Gerte heraus.“ Da war der Knabe schon so stark, daß er einen jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riß. Der Riese aber meinte „das muß besser kommen,“ nahm ihn wieder mit, und säugte ihn noch zwei Jahre. Als er ihn versuchte, hatte seine Kraft schon so zugenommen, daß er einen alten Baum aus der Erde brechen konnte. Das war dem Riesen noch immer nicht genug, er säugte ihn abermals zwei Jahre, und als er dann mit ihm in den Wald gieng, und sprach „nun reiß einmal eine ordentliche Gerte aus,“ so riß der Junge den dicksten Eichenbaum aus der Erde, daß er krachte, und war ihm nur ein Spaß. „Nun ists genug,“ sprach der Riese, „du hast ausgelernt,“ und führte ihn zurück auf den Acker, wo er ihn geholt hatte. Sein Vater stand da hinter dem Pflug, der junge Riese gieng auf ihn zu und sprach „sieht er wohl, Vater, was sein Sohn für ein Mann geworden ist.“ Der Bauer erschrack, und sagte „nein, du bist mein Sohn nicht, ich will dich nicht, geh weg von mir.“ „Freilich bin ich sein Sohn, laß er mich an die Arbeit, ich kann pflügen so gut als er und noch besser.“ „Nein, nein, du bist mein Sohn nicht, du kannst auch nicht pflügen, geh weg von mir.“ Weil er sich aber vor dem großen Mann fürchtete, ließ er den Pflug los, trat zurück und setzte sich zur Seite ans Land. Da nahm der Junge das Geschirr und drückte blos mit einer Hand darauf, aber der Druck war so gewaltig, daß der Pflug tief in die Erde gieng. Der Bauer konnte das nicht mit ansehen und rief ihm zu „wenn du pflügen willst, mußt du nicht so gewaltig drücken, das gibt schlechte Arbeit.“ Der Junge aber spannte die Pferde aus, zog selber den Pflug und sagte „geh er nur nach Haus, Vater, und laß er die Mutter eine große Schüssel voll Essen kochen; ich will derweil den Acker schon umreißen.“ Da gieng der Bauer heim und bestellte das Essen bei seiner Frau: der Junge aber pflügte das Feld, zwei Morgen groß, ganz allein, und dann spannte er [22] sich auch selber vor die Egge und eggte alles mit zwei Eggen zugleich. Wie er fertig war, gieng er in den Wald und riß zwei Eichenbäume aus, legte sie auf die Schultern, und hinten und vorn eine Egge darauf, und hinten und vorn auch ein Pferd, und trug das alles, als wär es ein Bund Stroh, nach seiner Eltern Haus. Wie er in den Hof kam, erkannte ihn seine Mutter nicht und fragte „wer ist der entsetzliche, große Mann?“ Der Bauer sagte „das ist unser Sohn.“ Sie sprach „nein, unser Sohn ist das nimmermehr, so groß haben wir keinen gehabt, unser war ein kleines Ding.“ Sie rief ihm zu „geh fort, wir wollen dich nicht.“ Der Junge schwieg still, zog seine Pferde in den Stall, gab ihnen Hafer und Heu, alles wie sichs gehörte. Als er fertig war, gieng er in die Stube, setzte sich auf die Bank und sagte „Mutter, nun hätte ich Lust zu essen, ists bald fertig?“ Da sagte sie „ja“ und brachte zwei große große Schüsseln voll herein, daran hätten sie und ihr Mann acht Tage lang satt gehabt. Der Junge aber aß sie allein auf und fragte ob sie nicht mehr vorsetzen könnte? „Nein,“ sagte sie, „das ist alles, was wir haben.“ „Das war ja nur zum Schmecken, ich muß mehr haben.“ Sie getraute nicht ihm zu widerstehen, gieng hin und setzte einen großen Schweinekessel voll übers Feuer, und wie es gahr war, trug sie es herein. „Endlich kommen noch ein paar Brocken“ sagte er und aß alles hinein; es war aber doch nicht genug seinen Hunger zu stillen. Da sprach er „Vater, ich sehe wohl, bei ihm werd ich nicht satt, will er mir einen Stab von Eisen verschaffen, der stark ist, und den ich vor meinen Knien nicht zerbrechen kann, so will ich fort in die Welt gehen.“ Der Bauer war froh, spannte seine zwei Pferde vor den Wagen und holte bei dem Schmied einen Stab so groß und dick, als ihn die zwei Pferde nur fort schaffen konnten. Der Junge nahm ihn vor die Knie, und ratsch! brach er ihn wie eine Bohnenstange in der Mitte entzwei und warf ihn weg. Der Vater [23] spannte vier Pferde vor und holte einen Stab so groß und dick, als ihn die vier Pferde fort schaffen konnten. Der Sohn knickte auch diesen vor dem Knie entzwei, warf ihn hin und sprach „Vater, der kann mir nicht helfen, er muß besser vorspannen und einen stärkern Stab holen.“ Da spannte der Vater acht Pferde vor und holte einen so groß und dick, als ihn die acht Pferde herbei fahren konnten. Wie der Sohn den in die Hand nahm, brach er gleich oben ein Stück davon ab und sagte „Vater, ich sehe er kann mir keinen Stab anschaffen wie ich ihn brauche, ich will nicht länger bei ihm bleiben.“

Da gieng er fort und gab sich für einen Schmiedegesellen aus. Er kam in ein Dorf, darin wohnte ein Schmied, der war ein Geizmann, gönnte keinem Menschen etwas und wollte alles allein haben; zu dem trat er in die Schmiede und fragte ob er keinen Gesellen brauchte. „Ja“ sagte der Schmied, sah ihn an und dachte „das ist ein tüchtiger Kerl, der wird gut vorschlagen und sein Brot verdienen.“ Er fragte „wie viel willst du Lohn haben?“ „Gar keinen will ich haben,“ antwortete er, „nur alle vierzehn Tage, wenn die andern Gesellen ihren Lohn bezahlt kriegen, will ich dir zwei Streiche geben, die mußt du aushalten.“ Das war der Geizmann von Herzen zufrieden und dachte damit viel Geld zu sparen. Am andern Morgen sollte der fremde Geselle zuerst vorschlagen, wie aber der Meister den glühenden Stab brachte und jener den ersten Schlag that, so flog das Eisen von einander und der Ambos sank in die Erde, so tief, daß sie ihn gar nicht wieder heraus bringen konnten. Da ward der Geizmann bös und sagte „ei was, dich kann ich nicht brauchen, du schlägst gar zu grob, was willst du für den einen Zuschlag haben?“ Da sprach er „ich will dir nur einen ganz kleinen Streich geben, weiter nichts.“ Und hob seinen Fuß auf und gab ihm einen Tritt, daß er über vier Fuder Heu hinausflog. Darauf suchte er sich den dicksten [24] Eisenstab aus, der in der Schmiede war, nahm ihn als einen Stock in die Hand und gieng weiter.

Als er eine Weile gezogen war, kam er zu einem Vorwerk und fragte den Amtmann ob er keinen Großknecht nöthig hätte. „Ja,“ sagte der Amtmann, „ich kann einen brauchen: du siehst aus wie ein tüchtiger Kerl, der schon was vermag, wie viel willst du Jahrslohn haben?“ Er antwortete wiederum er verlangte gar keinen Lohn, aber alle Jahre wollte er ihm drei Streiche geben, die müßte er aushalten. Das war der Amtmann zufrieden, denn er war auch ein Geizhals. Am andern Morgen, da sollten die Knechte ins Holz fahren, und die andern Knechte waren schon auf, er aber lag noch im Bett. Da rief ihn einer an „steh auf, es ist Zeit, wir wollen ins Holz, und du mußt mit.“ „Ach,“ sagte er ganz grob und trotzig, „geht ihr nur hin, ich komme doch eher wieder als ihr alle mit einander.“ Da giengen die andern zum Amtmann und erzählten ihm der Großknecht läge noch im Bett und wollte nicht mit ins Holz fahren. Der Amtmann sagte sie sollten ihn noch einmal wecken und ihn heißen die Pferde vorspannen. Der Großknecht sprach aber wie vorher „geht ihr nur hin, ich komme doch eher wieder als ihr alle mit einander.“ Darauf blieb er noch zwei Stunden liegen, da stieg er endlich aus den Federn, holte sich aber erst zwei Scheffel voll Erbsen vom Boden, kochte sich einen Brei und aß den mit guter Ruhe, und wie das alles geschehen war, gieng er hin, spannte die Pferde vor und fuhr ins Holz. Nicht weit vor dem Holz war ein Hohlweg, wo er durch mußte, da fuhr er den Wagen erst vorwärts, dann mußten die Pferde stille halten, und er gieng hinter den Wagen, nahm Bäume und Reisig und machte da eine große Hucke (Verhack), so daß kein Pferd durchkommen konnte. Wie er nun vors Holz kam, fuhren die andern eben mit ihren beladenen Wagen heraus und wollten heim, da sprach er zu ihnen „fahrt nur hin, ich komme doch [25] eher als ihr nach Haus.“ Er fuhr gar nicht weit ins Holz, riß gleich zwei der allergrößten Bäume aus der Erde, warf sie auf den Wagen und drehte um. Als er vor der Hucke anlangte, standen die andern noch da und konnten nicht durch. „Seht ihr wohl,“ sprach er, „wärt ihr bei mir geblieben, so wärt ihr eben so schnell nach Haus gekommen und hättet noch eine Stunde schlafen können.“ Er wollte nun zufahren, aber seine Pferde konnten sich nicht durcharbeiten, da spannte er sie aus, legte sie oben auf den Wagen, nahm selber die Deichsel in die Hand, und hüf! zog er alles durch, und das gieng so leicht als hätt er Federn geladen. Wie er drüben war, sprach er zu den andern „seht ihr wohl, ich bin schneller hindurch als ihr,“ fuhr weiter, und die andern mußten stehen bleiben. In dem Hof aber nahm er einen Baum in die Hand, zeigte ihn dem Amtmann und sagte „ist das nicht ein schönes Klafterstück?“ Da sprach der Amtmann zu seiner Frau „der Knecht ist gut; wenn er auch lang schläft, er ist doch eher wieder da als die andern.“

Nun diente er dem Amtmann ein Jahr: wie das herum war, und die andern Knechte ihren Lohn kriegten, sprach er es wäre Zeit, er wollte sich auch seinen Lohn nehmen. Dem Amtmann ward aber angst vor den Streichen, die er kriegen sollte, und bat ihn inständig er möchte sie ihm schenken, lieber wollte er selbst Großknecht werden, und er sollte Amtmann sein. „Nein,“ sprach er, „ich will kein Amtmann werden, ich bin Großknecht und wills bleiben, ich will aber austheilen was bedungen ist.“ Der Amtmann wollte ihm geben, was er nur verlangte, aber es half nichts, der Großknecht sprach zu allem „nein.“ Da wußte sich der Amtmann nicht zu helfen und bat ihn um vierzehn Tage Frist, er wollte sich auf etwas besinnen. Der Großknecht sprach die Frist sollte er haben. Der Amtmann berief alle seine Schreiber zusammen, sie sollten sich bedenken und ihm einen Rath geben. Die [26] Schreiber besannen sich lange, endlich sagten sie vor dem Großknecht wäre niemand seines Lebens sicher, der schlüge einen Menschen wie eine Mücke todt. Er sollte ihn heißen in den Brunnen steigen und ihn reinigen, wenn er unten wäre, wollten sie einen von den Mühlensteinen, die da lägen, herbei rollen und ihm auf den Kopf werfen, dann würde er nicht wieder an des Tages Licht kommen. Der Rath gefiel dem Amtmann, und der Großknecht war bereit in den Brunnen hinab zu steigen. Als er unten auf dem Grund stand, rollten sie den größten Mühlstein hinab, und meinten der Kopf wäre ihm eingeschlagen, aber er rief „jagt die Hühner vom Brunnen weg, die kratzen da oben im Sand und werfen mir die Körner in die Augen, daß ich nicht sehen kann.“ Da rief der Amtmann „husch! husch!“ und that als scheuchte er die Hühner weg. Als der Großknecht mit seiner Arbeit fertig war, stieg er herauf und sagte „seht einmal, ich habe doch ein schönes Halsband um,“ da war es der Mühlenstein, den er um den Hals trug. Der Großknecht wollte jetzt seinen Lohn nehmen, aber der Amtmann bat wieder um vierzehn Tage Bedenkzeit. Die Schreiber kamen zusammen und gaben den Rath er sollte den Großknecht in die verwünschte Mühle schicken um dort in der Nacht Korn zu mahlen: von da wäre noch kein Mensch Morgens lebendig herausgekommen. Der Anschlag gefiel dem Amtmann, er rief den Großknecht noch denselben Abend und hieß ihn acht Malter Korn in die Mühle fahren und in der Nacht noch mahlen; sie hättens nöthig. Da gieng der Großknecht auf den Boden und that zwei Malter in seine rechte Tasche, zwei in die linke, vier nahm er in einem Quersack halb auf den Rücken, halb auf die Brust, und gieng also beladen nach der verwünschten Mühle. Der Müller sagte ihm bei Tag könnte er recht gut da mahlen, aber nicht in der Nacht, da wäre die Mühle verwünscht, und wer da noch hinein gegangen wäre, den hätte man am Morgen [27] todt darin gefunden. Er sprach „ich will schon durchkommen, macht euch nur fort und legt euch aufs Ohr.“ Darauf gieng er in die Mühle und schüttete das Korn auf. Gegen elf Uhr gieng er in die Müllerstube und setzte sich auf die Bank. Als er ein Weilchen da gesessen hatte, that sich auf einmal die Thür auf und kam eine große große Tafel herein, und auf die Tafel stellte sich Wein und Braten, und viel gutes Essen, alles von selber, denn es war niemand da, ders auftrug. Und danach rückten sich die Stühle herbei, aber es kamen keine Leute, bis auf einmal sah er Finger, die handthierten mit den Messern und Gabeln und legten Speisen auf die Teller, aber sonst konnte er nichts sehen. Da er hungrig war und die Speisen sah, so setzte er sich auch an die Tafel, aß mit und ließ sichs gut schmecken. Als er satt war und die andern ihre Schüsseln auch ganz leer gemacht hatten, da wurden die Lichter auf einmal alle ausgeputzt, das hörte er deutlich, und wies nun stockfinster war, so kriegte er so etwas wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Da sprach er „wenn noch einmal so etwas kommt, so theil ich auch wieder aus.“ Und wie er zum zweiten Mal eine Ohrfeige kriegte, da schlug er gleichfalls mit hinein. Und so gieng das fort die ganze Nacht, er nahm nichts umsonst, sondern gab reichlich zurück und schlug nicht faul um sich herum: bei Tagesanbruch aber hörte alles auf. Wie der Müller aufgestanden war, wollt er nach ihm sehen und verwunderte sich daß er noch lebte. Da sprach er „ich habe mich satt gegessen, habe Ohrfeigen gekriegt, aber ich habe auch Ohrfeigen ausgetheilt.“ Der Müller freute sich und sagte nun wäre die Mühle erlöst, und wollte ihm gern zur Belohnung viel Geld geben. Er sprach aber „Geld will ich nicht, ich habe doch genug.“ Dann nahm er sein Mehl auf den Rücken, gieng nach Haus und sagte dem Amtmann er hätte die Sache ausgerichtet und wollte nun seinen bedungenen Lohn haben. Wie der Amtmann das hörte, da ward ihm erst recht [28] angst: er wußte sich nicht zu lassen, gieng in der Stube auf und ab, und die Schweißtropfen liefen ihm von der Stirne herunter. Da machte er das Fenster auf nach frischer Luft, eh er sichs aber versah, hatte ihm der Großknecht einen Tritt gegeben, daß er durchs Fenster in die Luft hinein flog, immer fort, bis ihn niemand mehr sehen konnte. Da sprach der Großknecht zur Frau des Amtmanns „kommt er nicht wieder, so müßt ihr den anderen Streich hinnehmen.“ Sie rief „nein, nein, ich kanns nicht aushalten,“ und machte das andere Fenster auf, weil ihr die Schweißtropfen die Stirne herunter liefen. Da gab er ihr einen Tritt, daß sie gleichfalls hinaus flog und da sie leichter war, noch viel höher als ihr Mann. Der Mann rief „komm doch zu mir,“ sie aber rief „komm du zu mir, ich kann nicht zu dir.“ Und sie schwebten da in der Luft, und konnte keins zum andern kommen, und ob sie da noch schweben, das weiß ich nicht; der junge Riese aber nahm seine Eisenstange und gieng weiter.

Rothkäppchen

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 26 – Gästen: Kai Du

Gästin: Kai Du

Podcasts: Hobbykochpodcast

Märchen-Quelle

https://de.wikisource.org/wiki/Rothkäppchen_(1857)


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26. Rothkäppchen

Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wußte gar nicht was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rothem Sammet, und weil ihm das so wohl stand, und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rothkäppchen. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm „komm, Rothkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran laben. Mach dich auf bevor es heiß wird, und wenn du hinaus kommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiß nicht guten Morgen zu sagen und guck nicht erst in alle Ecken herum.“

„Ich will schon alles gut machen“ sagte Rothkäppchen zur Mutter, und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rothkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rothkäppchen aber wußte nicht was das für ein böses Thier war und fürchtete sich nicht vor ihm. „Guten Tag, Rothkäppchen,“ sprach er. „Schönen Dank, Wolf.“ „Wo hinaus so früh, Rothkäppchen?“ „Zur Großmutter.“ „Was trägst du unter der Schürze?“ „Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zu gut thun, und sich damit stärken.“ [141] „Rothkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?“ „Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nußhecken, das wirst du ja wissen“ sagte Rothkäppchen. Der Wolf dachte bei sich „das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die Alte: du mußt es listig anfangen, damit du beide erschnappst.“ Da gieng er ein Weilchen neben Rothkäppchen her, dann sprach er „Rothkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die rings umher stehen, warum guckst du dich nicht um? ich glaube du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? du gehst ja für dich hin als wenn du zur Schule giengst, und ist so lustig haußen in dem Wald.“

Rothkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten, und alles voll schöner Blumen stand, dachte es „wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude machen; es ist so früh am Tag, daß ich doch zu rechter Zeit ankomme,“ lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es weiter hinaus stände eine schönere, und lief darnach, und gerieth immer tiefer in den Wald hinein. Der Wolf aber gieng geradeswegs nach dem Haus der Großmutter, und klopfte an die Thüre. „Wer ist draußen?“ „Rothkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach auf.“ „Drück nur auf die Klinke,“ rief die Großmutter, „ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.“ Der Wolf drückte auf die Klinke, die Thüre sprang auf und er gieng, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann that er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.

Rothkäppchen aber war nach den Blumen herum gelaufen, und als es so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen konnte, [142] fiel ihm die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich daß die Thüre aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, daß es dachte „ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mirs heute zu Muth, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!“ Es rief „guten Morgen,“ bekam aber keine Antwort. Darauf gieng es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter, und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. „Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!“ „Daß ich dich besser hören kann.“ „Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!“ „Daß ich dich besser sehen kann.“ „Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!“ „Daß ich dich besser packen kann.“ „Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!“ „Daß ich dich besser fressen kann.“ Kaum hatte der Wolf das gesagt, so that er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rothkäppchen.

Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fieng an überlaut zu schnarchen. Der Jäger gieng eben an dem Haus vorbei und dachte „wie die alte Frau schnarcht, du mußt doch sehen ob ihr etwas fehlt.“ Da trat er in die Stube, und wie er vor das Bette kam, so sah er daß der Wolf darin lag. „Finde ich dich hier, du alter Sünder,“ sagte er, „ich habe dich lange gesucht.“ Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben, und sie wäre noch zu retten: schoß nicht, sondern nahm eine Scheere und fieng an dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte gethan hatte, da sah er das rothe Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief „ach, wie war ich erschrocken, wie wars so dunkel in dem Wolf seinem Leib!“ Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum athmen. Rothkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie [143] dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, daß er gleich niedersank und sich todt fiel.

Da waren alle drei vergnügt; der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab und gieng damit heim, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein den Rothkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rothkäppchen aber dachte „du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn dirs die Mutter verboten hat.“

Es wird auch erzählt, daß einmal, als Rothkäppchen der alten Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten wollen. Rothkäppchen aber hütete sich und gieng gerade fort seines Wegs und sagte der Großmutter daß es dem Wolf begegnet wäre, der ihm guten Tag gewünscht, aber so bös aus den Augen geguckt hätte: „wenns nicht auf offner Straße gewesen wäre, er hätte mich gefressen.“ „Komm,“ sagte die Großmutter, „wir wollen die Thüre verschließen, daß er nicht herein kann.“ Bald darnach klopfte der Wolf an und rief „mach auf, Großmutter, ich bin das Rothkäppchen, ich bring dir Gebackenes.“ Sie schwiegen aber still und machten die Thüre nicht auf: da schlich der Graukopf etlichemal um das Haus, sprang endlich aufs Dach und wollte warten bis Rothkäppchen Abends nach Haus gienge, dann wollte er ihm nachschleichen und wollts in der Dunkelheit fressen. Aber die Großmutter merkte was er im Sinn hatte. Nun stand vor dem Haus ein großer Steintrog, da sprach sie zu dem Kind „nimm den Eimer, Rothkäppchen, gestern hab ich Würste gekocht, da trag das Wasser, worin sie gekocht sind, in den Trog.“ Rothkäppchen trug so lange, bis der [144] große große Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Würsten dem Wolf in die Nase, er schnupperte und guckte hinab, endlich machte er den Hals so lang, daß er sich nicht mehr halten konnte, und anfieng zu rutschen: so rutschte er vom Dach herab, gerade in den großen Trog hinein und ertrank. Rothkäppchen aber gieng fröhlich nach Haus, und that ihm niemand etwas zu Leid.

Die Rabe

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 93 – Gästen: Kati Fränzel

Gästin: Kati Fränzel

Podcasts: Schläfst Du schon, Safe For Work

Märchen-Quelle

https://de.wikisource.org/wiki/DieRabe(1857)


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Das singende springende Löweneckerchen

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 88 – Gästin: Hannah C. Rosenblatt

Quelle:

https://de.wikisource.org/wiki/DassingendespringendeLöweneckerchen(1857)

Heute: Hannah C. Rosenblatt

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88. Das singende springende Löweneckerchen

Es war einmal ein Mann, der hatte eine große Reise vor, und beim Abschied fragte er seine drei Töchter was er ihnen mitbringen sollte. Da wollte die älteste Perlen, die zweite wollte Diamanten, die dritte aber sprach „lieber Vater, ich wünsche mir ein singendes springendes Löweneckerchen (Lerche).“ Der Vater sagte „ja, wenn ich es kriegen kann, sollst du es haben,“ küßte alle drei und zog fort. Als nun die Zeit kam, daß er wieder auf dem Heimweg war, so hatte er Perlen und Diamanten für die zwei ältesten gekauft, aber das singende springende Löweneckerchen für die jüngste hatte er umsonst aller Orten gesucht, und das that ihm leid, denn sie war sein liebstes Kind. Da führte ihn der Weg durch einen Wald, und mitten darin war ein prächtiges Schloß, und nah am Schloß stand ein Baum, ganz oben auf der Spitze des Baums aber sah er ein Löweneckerchen singen und springen. „Ei, du kommst mir gerade recht“ sagte er ganz vergnügt und rief seinem Diener, er sollte hinauf steigen und das Thierchen fangen. Wie er aber zu dem Baum trat, sprang ein Löwe darunter auf, schüttelte sich und brüllte, daß das Laub an den Bäumen zitterte. „Wer mir mein singendes springendes Löweneckerchen stehlen will,“ rief er, „den fresse ich auf.“ Da sagte der Mann „ich habe nicht gewußt, daß der Vogel dir gehört: ich will mein Unrecht wieder gut machen, und mich mit schwerem Golde loskaufen, laß mir nur das Leben.“ Der Löwe sprach „dich kann nichts retten, als wenn du mir zu eigen versprichst, was dir daheim zuerst begegnet; willst du das aber thun, so schenke ich dir das Leben und den Vogel für deine Tochter obendrein.“ Der Mann aber weigerte sich und sprach „das könnte meine jüngste Tochter sein, die hat mich am liebsten und läuft mir immer entgegen, wenn ich nach Haus komme.“ Dem Diener aber war angst und er sagte „muß euch denn gerade eure Tochter begegnen, es könnte ja auch eine Katze oder ein Hund sein.“ Da ließ sich der Mann überreden, nahm das singende springende Löweneckerchen und versprach dem Löwen zu eigen was ihm daheim zuerst begegnen würde.

Wie er daheim anlangte und in sein Haus eintrat, war das erste, was ihm begegnete, niemand anders als seine jüngste liebste Tochter: die kam gelaufen, küßte und herzte ihn, und als sie sah, daß er ein singendes springendes Löweneckerchen mitgebracht hatte, war sie außer sich vor Freude. Der Vater aber konnte sich nicht freuen, sondern fieng an zu weinen und sagte „mein liebstes Kind, den kleinen Vogel habe ich theuer gekauft, ich habe dich dafür einem wilden Löwen versprechen müssen, und wenn er dich hat, wird er dich zerreißen und fressen,“ und erzählte ihr da alles, wie es zugegangen war, und bat sie nicht hin zu gehen, es möchte auch kommen was da wollte. Sie tröstete ihn aber und sprach „liebster Vater, was ihr versprochen habt muß auch gehalten werden: ich will hingehen und will den Löwen schon besänftigen, daß ich wieder gesund zu euch komme.“ Am andern Morgen ließ sie sich den Weg zeigen, nahm Abschied und gieng getrost in den Wald hinein. Der Löwe aber war ein verzauberter Königssohn, und war bei Tag ein Löwe, und mit ihm wurden alle seine Leute Löwen, in der Nacht aber hatten sie ihre natürliche menschliche Gestalt. Bei ihrer Ankunft ward sie freundlich empfangen und in das Schloß geführt. Als die Nacht kam, war er ein schöner Mann und die Hochzeit ward mit Pracht gefeiert. Sie lebten vergnügt mit einander, wachten in der Nacht und schliefen am Tag. Zu einer Zeit kam er und sagte „morgen ist ein Fest in deines Vaters Haus, weil deine älteste Schwester sich verheirathet, und wenn du Lust hast hinzugehen, so sollen dich meine Löwen hinführen.“ Da sagte sie ja, sie möchte gern ihren Vater wiedersehen, fuhr hin und ward von den Löwen begleitet. Da war große Freude, als sie ankam, denn sie hatten alle geglaubt sie wäre von dem Löwen zerrissen worden und schon lange nicht mehr am Leben. Sie erzählte aber was sie für einen schönen Mann hätte und wie gut es ihr gienge, und blieb bei ihnen so lang die Hochzeit dauerte, dann fuhr sie wieder zurück in den Wald. Wie die zweite Tochter heirathete und sie wieder zur Hochzeit eingeladen war, sprach sie zum Löwen „diesmal will ich nicht allein sein, du mußt mitgehen.“ Der Löwe aber sagte das wäre zu gefährlich für ihn, denn wenn dort der Strahl eines brennenden Lichts ihn berührte, so würde er in eine Taube verwandelt, und müßte sieben Jahre lang mit den Tauben fliegen. „Ach,“ sagte sie, „geh nur mit mir: ich will dich schon hüten und vor allem Licht bewahren.“ Also zogen sie zusammen und nahmen auch ihr kleines Kind mit. Sie ließ dort einen Saal mauern, so stark und dick daß kein Strahl durchdringen konnte, darin sollt er sitzen, wann die Hochzeitslichter angesteckt würden. Die Thür aber war von frischem Holz gemacht, das sprang und bekam einen kleinen Ritz, den kein Mensch bemerkte. Nun ward die Hochzeit mit Pracht gefeiert, wie aber der Zug aus der Kirche zurückkam mit den vielen Fackeln und Lichtern an dem Saal vorbei, da fiel ein haarbreiter Strahl auf den Königssohn, und wie dieser Strahl ihn berührt hatte, in dem Augenblick war er auch verwandelt, und als sie hineinkam und ihn suchte, sah sie ihn nicht, aber es saß da eine weiße Taube. Die Taube sprach zu ihr „sieben Jahr muß ich in die Welt fortfliegen: alle sieben Schritte aber will ich einen rothen Blutstropfen und eine weiße Feder fallen lassen, die sollen dir den Weg zeigen, und wenn du der Spur folgst, kannst du mich erlösen.“

Da flog die Taube zur Thür hinaus, und sie folgte ihr nach, und alle sieben Schritte fiel ein rothes Blutströpfchen und ein weißes Federchen herab und zeigte ihr den Weg. So gieng sie immer zu in die weite Welt hinein, und schaute nicht um sich und ruhte sich nicht, und waren fast die sieben Jahre herum: da freute sie sich und meinte sie wären bald erlöst, und war noch so weit davon. Einmal, als sie so fortgieng, fiel kein Federchen mehr und auch kein rothes Blutströpfchen, und als sie die Augen aufschlug, so war die Taube verschwunden. Und weil sie dachte „Menschen können dir da nicht helfen,“ so stieg sie zur Sonne hinauf und sagte zu ihr „du scheinst in alle Ritzen und über alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?“ „ Nein,“ sagte die Sonne, „ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kästchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.“ Da dankte sie der Sonne und gieng weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn „du scheinst ja die ganze Nacht und durch alle Felder und Wälder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?“ „Nein,“ sagte der Mond, „ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.“ Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der Nachtwind heran kam und sie anblies: da sprach sie zu ihm „du wehst ja über alle Bäume und unter allen Blättern weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?“ „Nein,“ sagte der Nachtwind, „ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.“ Der Ostwind und der Westwind kamen und hatten nichts gesehen, der Südwind aber sprach „die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Löwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Löwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, der Lindwurm ist aber eine verzauberte Königstochter.“ Da sagte der Nachtwind zu ihr „ich will dir Rath geben, geh zum rothen Meer, am rechten Ufer da stehen große Ruthen, die zähle, und die eilfte schneid dir ab, und schlag den Lindwurm damit, dann kann ihn der Löwe bezwingen, und beide bekommen auch ihren menschlichen Leib wieder. Hernach schau dich um, und du wirst den Vogel Greif sehen, der am rothen Meer sitzt, schwing dich mit deinem Liebsten auf seinen Rücken: der Vogel wird euch übers Meer nach Haus tragen. Da hast du auch eine Nuß, wenn du mitten über dem Meere bist, laß sie herab fallen, alsbald wird sie aufgehen, und ein großer Nußbaum wird aus dem Wasser hervor wachsen, auf dem sich der Greif ausruht: und könnte er nicht ruhen, so wäre er nicht stark genug euch hinüber zu tragen: und wenn du vergißt die Nuß herab zu werfen, so läßt er euch ins Meer fallen.“

Da gieng sie hin und fand alles wie der Nachtwind gesagt hatte. Sie zählte die Ruthen am Meer und schnitt die eilfte ab, damit schlug sie den Lindwurm, und der Löwe bezwang ihn: alsbald hatten beide ihren menschlichen Leib wieder. Aber wie die Königstochter, die vorher ein Lindwurm gewesen war, vom Zauber frei war, nahm sie den Jüngling in den Arm, setzte sich auf den Vogel Greif, und führte ihn mit sich fort. Da stand die arme weitgewanderte, und war wieder verlassen, und setzte sich nieder und weinte. Endlich aber ermuthigte sie sich und sprach „ich will noch so weit gehen als der Wind weht und so lange als der Hahn kräht, bis ich ihn finde.“ Und gieng fort, lange lange Wege, bis sie endlich zu dem Schloß kam, wo beide zusammen lebten: da hörte sie daß bald ein Fest wäre, wo sie Hochzeit mit einander machen wollten. Sie sprach aber „Gott hilft mir noch,“ und öffnete das Kästchen, das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid darin, so glänzend wie die Sonne selber. Da nahm sie es heraus und zog es an und gieng hinauf in das Schloß, und alle Leute, und die Braut selber, sahen sie mit Verwunderung an; und das Kleid gefiel der Braut so gut, daß sie dachte es könnte ihr Hochzeitskleid geben, und fragte ob es nicht feil wäre. „Nicht für Geld und Gut,“ antwortete sie, „aber für Fleisch und Blut.“ Die Braut fragte was sie damit meinte. Da sagte sie „laßt mich eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Bräutigam schläft.“ Die Braut wollte nicht, und wollte doch gerne das Kleid haben, endlich willigte sie ein, aber der Kammerdiener mußte dem Königssohn einen Schlaftrunk geben. Als es nun Nacht war und der Jüngling schon schlief, ward sie in die Kammer geführt. Da setzte sie sich ans Bett und sagte „ich bin dir nachgefolgt sieben Jahre, bin bei Sonne und Mond und bei den vier Winden gewesen, und habe nach dir gefragt, und habe dir geholfen gegen den Lindwurm, willst du mich denn ganz vergessen?“ Der Königssohn aber schlief so hart, daß es ihm nur vorkam als rauschte der Wind draußen in den Tannenbäumen. Wie nun der Morgen anbrach, da ward sie wieder hinausgeführt und mußte das goldene Kleid hingeben. Und als auch das nichts geholfen hatte, ward sie traurig, gieng hinaus auf eine Wiese, setzte sich da hin und weinte. Und wie sie so saß, da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond gegeben hatte: sie schlug es auf, da kam eine Glucke heraus mit zwölf Küchlein ganz von Gold, die liefen herum und piepten und krochen der Alten wieder unter die Flügel, so daß nichts schöneres auf der Welt zu sehen war. Da stand sie auf, trieb sie auf der Wiese vor sich her, so lange bis die Braut aus dem Fenster sah, und da gefielen ihr die kleinen Küchlein so gut, daß sie gleich herab kam und fragte ob sie nicht feil wären? „Nicht für Geld und Gut, aber für Fleisch und Blut; laßt mich noch eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Bräutigam schläft.“ Die Braut sagte „ja,“ und wollte sie betrügen wie am vorigen Abend. Als aber der Königssohn zu Bett gieng, fragte er seinen Kammerdiener was das Murmeln und Rauschen in der Nacht gewesen sei. Da erzählte der Kammerdiener alles, daß er ihm einen Schlaftrunk hätte geben müssen, weil ein armes Mädchen heimlich in der Kammer geschlafen hätte, und heute Nacht sollte er ihm wieder einen geben. Sagte der Königssohn „gieß den Trank neben das Bett aus.“ Zur Nacht wurde sie wieder hereingeführt, und als sie anfieng zu erzählen wie es ihr traurig ergangen wäre, da erkannte er gleich an der Stimme seine liebe Gemahlin, sprang auf und rief „jetzt bin ich erst recht erlöst, mir ist gewesen wie in einem Traum, denn die fremde Königstochter hatte mich bezaubert, daß ich dich vergessen mußte, aber Gott hat noch zu rechter Stunde die Bethörung von mir genommen.“ Da giengen sie beide in der Nacht heimlich aus dem Schloß, denn sie fürchteten sich vor dem Vater der Königstochter, der ein Zauberer war, und setzten sich auf den Vogel Greif, der trug sie über das rothe Meer, und als sie in der Mitte waren, ließ sie die Nuß fallen. Alsbald wuchs ein großer Nußbaum, darauf ruhte sich der Vogel, und dann führte er sie nach Haus, wo sie ihr Kind fanden, das war groß und schön geworden, und sie lebten von nun an vergnügt bis an ihr Ende.

Der König vom goldenen Berg

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 92 – Gast: Mirko Gutjahr

Quelle:

https://de.wikisource.org/wiki/DerKönigvomgoldenenBerg_(1857)

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92. Der König vom goldenen Berg.

Ein Kaufmann, der hatte zwei Kinder, einen Buben und ein Mädchen, die waren beide noch klein und konnten noch nicht laufen. Es giengen aber zwei reichbeladene Schiffe von ihm auf dem Meer, und sein ganzes Vermögen war darin, und wie er meinte dadurch viel Geld zu gewinnen, kam die Nachricht, sie wären versunken. Da war er nun statt eines reichen Mannes ein armer Mann und hatte nichts mehr übrig als einen Acker vor der Stadt. Um sich sein Unglück ein wenig aus den Gedanken zu schlagen, gieng er hinaus auf den Acker, und wie er da so auf- und abging, stand auf einmal ein kleines schwarzes Männchen neben ihm und fragte warum er so traurig wäre, und was er sich so sehr zu Herzen nähme. Da sprach der Kaufmann „wenn du mir helfen könntest, wollt ich dir es wohl sagen.“ „Wer weiß,“ antwortete das schwarze Männchen, „vielleicht helf ich dir.“ Da erzählte der Kaufmann daß ihm sein ganzer Reichthum auf dem Meer zu Grunde gegangen wäre, und hätte er nichts mehr übrig als diesen Acker. „Bekümmere dich nicht,“ sagte das Männchen, „wenn du mir versprichst das, was dir zu Haus am ersten widers Bein stößt, in zwölf Jahren hierher auf den Platz zu bringen, sollst du Geld haben so viel du willst.“ Der Kaufmann dachte „was kann das anders sein als mein Hund?“ aber an seinen kleinen Jungen dachte er nicht und sagte ja, gab dem schwarzen Mann Handschrift und Siegel darüber und gieng nach Haus.

Als er nach Haus kam, da freute sich sein kleiner Junge so [36] sehr darüber, daß er sich an den Bänken hielt, zu ihm herbei wackelte und ihn an den Beinen fest packte. Da erschrack der Vater, denn es fiel ihm sein Versprechen ein und er wußte nun was er verschrieben hatte: weil er aber immer noch kein Geld in seinen Kisten und Kasten fand, dachte er es wäre nur ein Spaß von dem Männchen gewesen. Einen Monat nachher gieng er auf den Boden und wollte altes Zinn zusammen suchen und verkaufen, da sah er einen großen Haufen Geld liegen. Nun war er wieder guter Dinge, kaufte ein, ward ein größerer Kaufmann als vorher und ließ Gott einen guten Mann sein. Unterdessen ward der Junge groß und dabei klug und gescheidt. Je näher aber die zwölf Jahre herbei kamen, je sorgvoller ward der Kaufmann, so daß man ihm die Angst im Gesicht sehen konnte. Da fragte ihn der Sohn einmal was ihm fehlte: der Vater wollte es nicht sagen, aber jener hielt so lange an, bis er ihm endlich sagte er hätte ihn, ohne zu wissen was er verspräche, einem schwarzen Männchen zugesagt und vieles Geld dafür bekommen. Er hätte seine Handschrift mit Siegel darüber gegeben, und nun müßte er ihn, wenn zwölf Jahre herum wären, ausliefern. Da sprach der Sohn „o Vater, laßt euch nicht bang sein, das soll schon gut werden, der Schwarze hat keine Macht über mich.“

Der Sohn ließ sich von dem Geistlichen segnen, und als die Stunde kam, giengen sie zusammen hinaus auf den Acker, und der Sohn machte einen Kreiß und stellte sich mit seinem Vater hinein. Da kam das schwarze Männchen und sprach zu dem Alten „hast du mitgebracht, was du mir versprochen hast?“ Er schwieg still, aber der Sohn fragte „was willst du hier?“ Da sagte das schwarze Männchen „ich habe mit deinem Vater zu sprechen und nicht mir dir.“ Der Sohn antwortete „du hast meinen Vater betrogen und verführt, gib die Handschrift heraus.“ „Nein,“ sagte das schwarze Männchen, „mein Recht geb ich nicht auf.“ Da redeten sie noch lange mit einander, endlich wurden sie einig, der Sohn, weil er nicht dem Erbfeind und nicht mehr seinem Vater zugehörte, sollte sich in ein Schiffchen setzen, das auf einem hinabwärts fließenden Wasser stände, und der Vater sollte es mit seinem eigenen Fuß fortstoßen, und dann sollte der Sohn dem Wasser überlassen bleiben. Da nahm er Abschied von seinem Vater, setzte sich in ein Schiffchen, und der Vater mußte es mit seinem eigenen Fuß fortstoßen. Das Schiffchen schlug um, so daß der unterste Theil oben war, die Decke aber im Wasser; und der Vater glaubte, sein Sohn wäre verloren, gieng heim und trauerte um ihn.

Das Schiffchen aber versank nicht, sondern floß ruhig fort, und der Jüngling saß sicher darin, und so floß es lange, bis es endlich an einem unbekannten Ufer festsitzen blieb. Da stieg er ans Land, sah ein schönes Schloß vor sich liegen und gieng darauf los. Wie er aber hineintrat, war es verwünscht; er gieng durch alle Zimmer, aber sie waren leer bis er in die letzte Kammer kam, da lag eine Schlange darin und ringelte sich. Die Schlange aber war eine verwünschte Jungfrau, die freute sich, wie sie ihn sah, und sprach zu ihm „kommst du, mein Erlöser? auf dich habe ich schon zwölf Jahre gewartet; dies Reich ist verwünscht, und du mußt es erlösen.“ „Wie kann ich das?“ fragte er. „Heute Nacht kommen zwölf schwarze Männer, die mit Ketten behangen sind, die werden dich fragen was du hier machst, da schweig aber still und gib ihnen keine Antwort, und laß sie mit dir machen was sie wollen: sie werden dich quälen, schlagen und stechen, laß alles geschehen, nur rede nicht; um zwölf Uhr müssen sie wieder fort. Und in der zweiten Nacht werden wieder zwölf andere kommen, in der dritten vier und zwanzig, die werden dir den Kopf abhauen: aber um zwölf Uhr ist ihre Macht vorbei, und wenn du dann ausgehalten und kein Wörtchen gesprochen hast, so bin ich erlöst. Ich komme zu dir, und habe in einer Flasche das Wasser des Lebens, damit bestreiche ich dich, und dann bist du wieder lebendig und gesund wie zuvor.“ Da sprach er „gerne will ich dich erlösen.“ Es geschah nun alles so, wie sie gesagt hatte: die schwarzen Männer konnten ihm kein Wort abzwingen, und in der dritten Nacht ward die Schlange zu einer schönen Königstochter, die kam mit dem Wasser des Lebens und machte ihn wieder lebendig. Und dann fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn, und war Jubel und Freude im ganzen Schloß. Da wurde ihre Hochzeit gehalten, und er war König vom goldenen Berge.

Also lebten sie vergnügt zusammen, und die Königin gebar einen schönen Knaben. Acht Jahre waren schon herum, da fiel ihm sein Vater ein und sein Herz ward bewegt, und er wünschte ihn einmal heimzusuchen. Die Königin wollte ihn aber nicht fortlassen und sagte „ich weiß schon daß es mein Unglück ist,“ er ließ ihr aber keine Ruhe bis sie einwilligte. Beim Abschied gab sie ihm noch einen Wünschring und sprach „nimm diesen Ring und steck ihn an deinen Finger, so wirst du alsbald dahin versetzt, wo du dich hinwünschest, nur mußt du mir versprechen daß du ihn nicht gebrauchst, mich von hier weg zu deinem Vater zu wünschen.“ Er versprach ihr das, steckte den Ring an seinen Finger und wünschte sich heim vor die Stadt, wo sein Vater lebte. Im Augenblick befand er sich auch dort und wollte in die Stadt: wie er aber vors Thor kam, wollten ihn die Schildwachen nicht einlassen, weil er seltsame und doch so reiche und prächtige Kleider an hatte. Da gieng er auf einen Berg, wo ein Schäfer hütete, tauschte mit diesem die Kleider und zog den alten Schäferrock an und gieng also ungestört in die Stadt ein. Als er zu seinem Vater kam, gab er sich zu erkennen, der aber glaubte nimmermehr daß es sein Sohn wäre und sagte er hätte zwar einen Sohn gehabt, der wäre aber längst todt: doch weil er sähe daß er ein armer dürftiger Schäfer wäre, so wollte er ihm einen Teller voll zu essen geben. Da sprach der Schäfer zu seinen Eltern „ich bin wahrhaftig euer Sohn, wißt ihr kein Mal an meinem Leibe, woran ihr mich erkennen könnt?“ „Ja,“ sagte die Mutter, „unser Sohn hatte eine Himbeere unter dem rechten Arm.“ Er streifte das Hemd zurück, da sahen sie die Himbeere unter seinem rechten Arm und zweifelten nicht mehr daß es ihr Sohn wäre. Darauf erzählte er ihnen er wäre König vom goldenen Berge und eine Königstochter wäre seine Gemahlin, und sie hätten einen schönen Sohn von sieben Jahren. Da sprach der Vater „nun und nimmermehr ist das wahr: das ist mir ein schöner König, der in einem zerlumpten Schäferrock hergeht.“ Da ward der Sohn zornig und drehte, ohne an sein Versprechen zu denken, den Ring herum und wünschte beide, seine Gemahlin und sein Kind, zu sich. In dem Augenblick waren sie auch da, aber die Königin, die klagte und weinte, und sagte er hätte sein Wort gebrochen und hätte sie unglücklich gemacht. Er sagte „ich habe es unachtsam gethan und nicht mit bösem Willen“ und redete ihr zu; sie stellte sich auch als gäbe sie nach, aber sie hatte Böses im Sinn.

Da führte er sie hinaus vor die Stadt auf den Acker und zeigte ihr das Wasser, wo das Schiffchen war abgestoßen worden, und sprach dann „ich bin müde, setze dich nieder, ich will ein wenig auf deinem Schooß schlafen.“ Da legte er seinen Kopf auf ihren Schooß und sie lauste ihn ein wenig, bis er einschlief. Als er eingeschlafen war, zog sie erst den Ring von seinem Finger, dann zog sie den Fuß unter ihm weg und ließ nur den Toffel zurück: hierauf nahm sie ihr Kind in den Arm und wünschte sich wieder in ihr Königreich. Als er aufwachte, lag er da ganz verlassen, und seine Gemahlin und das Kind waren fort und der Ring vom Finger auch, nur der Toffel stand noch da zum Wahrzeichen. „Nach Haus zu deinen Eltern kannst du nicht wieder gehen,“ dachte er, „die würden sagen, du wärst ein Hexenmeister, du willst aufpacken und gehen bis du in dein Königreich kommst.“ Also gieng er fort und kam endlich zu einem Berg, vor dem drei Riesen standen und mit einander stritten, weil sie nicht wußten wie sie ihres Vaters Erbe theilen sollten. Als sie ihn vorbei gehen sahen, riefen sie ihn an und sagten kleine Menschen hätten klugen Sinn, er sollte ihnen die Erbschaft vertheilen. Die Erbschaft aber bestand aus einem Degen, wenn einer den in die Hand nahm und sprach „Köpf alle runter, nur meiner nicht,“ so lagen alle Köpfe auf der Erde: zweitens aus einem Mantel, wer den anzog, war unsichtbar; drittens aus ein paar Stiefeln, wenn man die angezogen hatte und sich wohin wünschte, so war man im Augenblick da. Er sagte „gebt mir die drei Stücke damit ich probieren könnte ob sie noch in gutem Stande sind.“ Da gaben sie ihm den Mantel, und als er ihn umgehängt hatte, war er unsichtbar und war in eine Fliege verwandelt. Dann nahm er wieder seine Gestalt an und sprach „der Mantel ist gut, nun gebt mir das Schwert.“ Sie sagten „nein, das geben wir nicht! wenn du sprächst „Köpf alle runter, nur meiner nicht!“ so wären unsere Köpfe alle herab und du allein hättest den deinigen noch.“ Doch gaben sie es ihm unter der Bedingung daß ers an einem Baum probieren sollte. Das that er und das Schwert zerschnitt den Stamm eines Baums wie einen Strohhalm. Nun wollt er noch die Stiefeln haben, sie sprachen aber „nein, die geben wir nicht weg, wenn du sie angezogen hättest und wünschtest dich oben auf den Berg, so stünden wir da unten und hätten nichts.“ „Nein,“ sprach er, „das will ich nicht thun.“ Da gaben sie ihm auch die Stiefeln. Wie er nun alle drei Stücke hatte, so dachte er an nichts als an seine Frau und sein Kind und sprach so vor sich hin „ach wäre ich auf dem goldenen Berg,“ und alsbald verschwand er vor den Augen der Riesen, und war also ihr Erbe getheilt. Als er nah beim Schloß war, hörte er Freudengeschrei, Geigen und Flöten, und die Leute sagten ihm seine Gemahlin feierte ihre Hochzeit mit einem andern. Da ward er zornig und sprach „die Falsche, sie hat mich betrogen und mich verlassen, als ich eingeschlafen war.“ Da hieng er seinen Mantel um und gieng unsichtbar ins Schloß hinein. Als er in den Saal eintrat, war da eine große Tafel mit köstlichen Speisen besetzt, und die Gäste aßen und tranken, lachten und scherzten. Sie aber saß in der Mitte in prächtigen Kleidern auf einem königlichen Sessel und hatte die Krone auf dem Haupt. Er stellte sich hinter sie und niemand sah ihn. Wenn sie ihr ein Stück Fleisch auf den Teller legten, nahm er ihn weg und aß es: und wenn sie ihr ein Glas Wein einschenkten, nahm ers weg und tranks aus; sie gaben ihr immer, und sie hatte doch immer nichts, denn Teller und Glas verschwanden augenblicklich. Da ward sie bestürzt und schämte sie sich, stand auf und gieng in ihre Kammer und weinte, er aber gieng hinter ihr her. Da sprach sie „ist denn der Teufel über mir, oder kam mein Erlöser nie?“ Da schlug er ihr ins Angesicht und sagte „kam dein Erlöser nie? er ist über dir, du Betrügerin. Habe ich das an dir verdient?“ Da machte er sich sichtbar, gieng in den Saal und rief „die Hochzeit ist aus, der wahre König ist gekommen!“ Die Könige, Fürsten und Räthe, die da versammelt waren, höhnten und verlachten ihn: er aber gab kurze Worte und sprach „wollt ihr hinaus oder nicht?“ Da wollten sie ihn fangen und drangen auf ihn ein, aber er zog sein Schwert und sprach „Köpf alle runter, nur meiner nicht.“ Da rollten alle Köpfe zur Erde, und er war allein der Herr und war wieder König vom goldenen Berge.

Der Arme und der Reiche

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 87 – Gast: Malik Aziz

Quelle:

https://de.wikisource.org/wiki/DerArmeundderReiche_(1857)

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87.

Der Arme und der Reiche.

Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, daß er eines Abends müde war und ihn die Nacht überfiel, bevor er zu einer Herberge kommen konnte. Nun standen auf dem Weg vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, das eine groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und gehörte das große einem Reichen, das kleine einem armen Manne. Da dachte unser Herr Gott „dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen: bei ihm will ich übernachten.“ Der Reiche, als er an seine Thüre klopfen hörte, machte das Fenster auf und fragte den Fremdling was er suche? Der Herr antwortete „ich bitte um ein Nachtlager.“ Der Reiche guckte den Wandersmann von Haupt bis zu den Füßen an, und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf und sprach „ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Thüre klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht euch anderswo ein Auskommen.“ Schlug damit sein Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken und gieng hinüber zu dem kleinen Haus. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Thürchen auf und bat den Wandersmann einzutreten. „Bleibt die Nacht über bei mir,“ sagte er „es ist schon finster, und heute könnt ihr doch nicht weiter kommen.“ Das gefiel dem lieben Gott und [2] er trat zu ihm ein. Die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen und sagte er möchte sichs bequem machen und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein wenig Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott nieder und aß mit ihnen, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Nachdem sie gegessen hatten, und Schlafenszeit war, rief die Frau heimlich ihren Mann und sprach „hör, lieber Mann, wir wollen uns heute Nacht eine Streu machen, damit der arme Wanderer sich in unser Bett legen und ausruhen kann: er ist den ganzen Tag über gegangen, da wird einer müde.“ „Von Herzen gern,“ antwortete er, „ich wills ihm anbieten,“ gieng zu dem lieben Gott und bat ihn, wenns ihm recht wäre, möcht er sich in ihr Bett legen und seine Glieder ordentlich ausruhen. Der liebe Gott wollte den beiden Alten ihr Lager nicht nehmen, aber sie ließen nicht ab, bis er es endlich that und sich in ihr Bett legte: sich selbst aber machten sie eine Streu auf die Erde. Am andern Morgen standen sie vor Tag schon auf und kochten dem Gast ein Frühstück, so gut sie es hatten. Als nun die Sonne durchs Fensterlein schien und der liebe Gott aufgestanden war, aß er wieder mit ihnen und wollte dann seines Weges ziehen. Als er in der Thüre stand, kehrte er sich um und sprach „weil ihr so mitleidig und fromm seid, so wünscht euch dreierlei, das will ich euch erfüllen.“ Da sagte der Arme „was soll ich mir sonst wünschen als die ewige Seligkeit, und daß wir zwei, so lang wir leben, gesund dabei bleiben und unser nothdürftiges tägliches Brot haben; fürs dritte weiß ich mir nichts zu wünschen.“ Der liebe Gott sprach „willst du dir nicht ein neues Haus für das alte wünschen?“ „O ja,“ sagte der Mann, „wenn ich das auch noch erhalten kann, so wär mirs wohl lieb.“ [3] Da erfüllte der Herr ihre Wünsche, verwandelte ihr altes Haus in ein neues, gab ihnen nochmals seinen Segen und zog weiter.

Es war schon voller Tag, als der Reiche aufstand. Er legte sich ins Fenster und sah gegenüber ein neues, reinliches Haus mit rothen Ziegeln, wo sonst eine alte Hütte gestanden hatte. Da machte er große Augen, rief seine Frau herbei und sprach „sag mir, was ist geschehen? Gestern Abend stand noch die alte elende Hütte, und heute steht da ein schönes neues Haus. Lauf hinüber und höre wie das gekommen ist.“ Die Frau gieng und fragte den Armen aus: er erzählte ihr „gestern Abend kam ein Wanderer, der suchte Nachtherberge, und heute Morgen beim Abschied hat er uns drei Wünsche gewährt, die ewige Seligkeit, Gesundheit in diesem Leben und das nothdürftige tägliche Brot dazu und zuletzt noch statt unserer alten Hütte ein schönes neues Haus.“ Die Frau des Reichen lief eilig zurück und erzählte ihrem Manne wie alles gekommen war. Der Mann sprach „ich möchte mich zerreißen und zerschlagen: hätt ich das nur gewußt! der Fremde ist zuvor hier gewesen und hat bei uns übernachten wollen, ich habe ihn aber abgewiesen.“ „Eil dich,“ sprach die Frau, „und setze dich auf dein Pferd, so kannst du den Mann noch einholen, und dann mußt du dir auch drei Wünsche gewähren lassen.“

Der Reiche befolgte den guten Rath, jagte mit seinem Pferd davon und holte den lieben Gott noch ein. Er redete fein und lieblich und bat er möchts nicht übel nehmen, daß er nicht gleich wäre eingelassen worden, er hätte den Schlüssel zur Hausthüre gesucht, derweil wäre er weggegangen: wenn er des Weges zurück käme, müßte er bei ihm einkehren. „Ja,“ sprach der liebe Gott, „wenn ich einmal zurückkomme, will ich es thun.“ Da fragte der Reiche ob er nicht auch drei Wünsche thun dürfte, wie sein Nachbar? Ja, sagte der liebe Gott, das dürfte er wohl, es wäre aber nicht gut für ihn, und er sollte sich lieber nichts wünschen. Der [4] Reiche meinte er wollte sich schon etwas aussuchen, das zu seinem Glück gereiche, wenn er nur wüßte, daß es erfüllt würde. Sprach der liebe Gott „reit heim, und drei Wünsche, die du thust, die sollen in Erfüllung gehen.“

Nun hatte der Reiche was er verlangte, ritt heimwärts und fieng an nachzusinnen was er sich wünschen sollte. Wie er sich so bedachte und die Zügel fallen ließ, fieng das Pferd an zu springen, so daß er immerfort in seinen Gedanken gestört wurde und sie gar nicht zusammen bringen konnte. Er klopfte ihm an den Hals und sagte „sei ruhig, Liese,“ aber das Pferd machte aufs neue Männerchen. Da ward er zuletzt ärgerlich und rief ganz ungeduldig „so wollt ich, daß du den Hals zerbrächst!“ Wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump, fiel er auf die Erde, und lag das Pferd todt und regte sich nicht mehr; damit war der erste Wunsch erfüllt. Weil er aber von Natur geizig war, wollte er das Sattelzeug nicht im Stich lassen, schnitts ab, hiengs auf seinen Rücken, und mußte nun zu Fuß gehen. „Du hast noch zwei Wünsche übrig“ dachte er und tröstete sich damit. Wie er nun langsam durch den Sand dahin gieng, und zu Mittag die Sonne heiß brannte, wards ihm so warm und verdrießlich zu Muth: der Sattel drückte ihn auf den Rücken, auch war ihm noch immer nicht eingefallen, was er sich wünschen sollte. „Wenn ich mir auch alle Reiche und Schätze der Welt wünsche,“ sprach er zu sich selbst, „so fällt mir hernach noch allerlei ein, dieses und jenes, das weiß ich im voraus: ich wills aber so einrichten, daß mir gar nichts mehr übrig zu wünschen bleibt.“ Dann seufzte er und sprach „ja, wenn ich der bairische Bauer wäre, der auch drei Wünsche frei hatte, der wußte sich zu helfen, der wünschte sich zuerst recht viel Bier, und zweitens so viel Bier als er trinken könnte, und drittens noch ein Faß Bier dazu.“ Manchmal meinte er jetzt hätte er es gefunden, aber hernach schiens ihm doch zu wenig. Da [5] kam ihm so in die Gedanken was es seine Frau jetzt gut hätte, die säße daheim in einer kühlen Stube und ließe sichs wohl schmecken. Das ärgerte ihn ordentlich, und ohne daß ers wußte, sprach er so hin „ich wollte die säße daheim auf dem Sattel, und könnte nicht herunter, statt daß ich ihn da auf meinem Rücken schleppe.“ Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war der Sattel von seinem Rücken verschwunden, und er merkte daß sein zweiter Wunsch auch in Erfüllung gegangen war. Da ward ihm erst recht heiß, er fieng an zu laufen und wollte sich daheim ganz einsam in seine Kammer hinsetzen und auf etwas Großes für den letzten Wunsch sinnen. Wie er aber ankommt und die Stubenthür aufmacht, sitzt da seine Frau mittendrin auf dem Sattel und kann nicht herunter, jammert und schreit. Da sprach er „gib dich zufrieden, ich will dir alle Reichthümer der Welt herbei wünschen, nur bleib da sitzen.“ Sie schalt ihn aber einen Schafskopf und sprach „was helfen mir alle Reichthümer der Welt, wenn ich auf dem Sattel sitze; du hast mich darauf gewünscht, du mußt mir auch wieder herunter helfen.“ Er mochte wollen oder nicht, er mußte den dritten Wunsch thun, daß sie vom Sattel ledig wäre und herunter steigen könnte; und der Wunsch ward alsbald erfüllt. Also hatte er nichts davon als Ärger, Mühe, Scheltworte und ein verlornes Pferd: die Armen aber lebten vergnügt, still und fromm bis an ihr seliges Ende.

Die Goldkinder

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 85 – Gast: Daniel N. (The Spielträumers)

Quelle:

https://de.wikisource.org/wiki/DieGoldkinder(1857)


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85.
Die Goldkinder.
Es war ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten nichts als eine kleine Hütte, und nährten sich vom Fischfang, und es gieng bei ihnen von Hand zu Mund. Es geschah aber, als der Mann eines Tages beim Wasser saß und sein Netz auswarf, daß er einen Fisch herauszog, der ganz golden war. Und als er den Fisch voll Verwunderung betrachtete, hub dieser an zu reden und sprach „hör, Fischer, wirfst du mich wieder hinab ins Wasser, so mach ich deine kleine Hütte zu einem prächtigen Schloß.“ Da antwortete der Fischer „was hilft mir ein Schloß, wenn ich nichts zu essen habe?“ Sprach der Goldfisch weiter „auch dafür soll gesorgt sein, es wird ein Schrank im Schloß sein, wenn du den aufschließest, so stehen Schüsseln darin mit den schönsten Speisen, so viel du dir wünschest.“ „Wenn das ist,“ sprach der Mann, „so kann ich dir wohl den Gefallen thun.“ „Ja,“ sagte der Fisch, „es ist aber die Bedingung dabei, daß du keinem Menschen auf der Welt, wer es auch immer sein mag, entdeckst woher dein Glück gekommen ist; sprichst du ein einziges Wort, so ist alles vorbei.“

Nun warf der Mann den wunderbaren Fisch wieder ins Wasser und gieng heim. Wo aber sonst seine Hütte gestanden hatte, da stand jetzt ein großes Schloß. Da machte er ein paar Augen, trat hinein und sah seine Frau, mit schönen Kleidern geputzt, in einer prächtigen Stube sitzen. Sie war ganz vergnügt und sprach „Mann, wie ist das auf einmal gekommen? das gefällt mir wohl.“ „Ja,“ sagte der Mann, „es gefällt mir auch, aber es hungert mich [426] auch gewaltig, gib mir erst was zu essen.“ Sprach die Frau „ich habe nichts und weiß in dem neuen Haus nichts zu finden.“ „Das hat keine Noth,“ sagte der Mann, „dort sehe ich einen großen Schrank, den schließ einmal auf.“ Wie sie den Schrank aufschloß, stand da Kuchen, Fleisch, Obst, Wein, und lachte einen ordentlich an. Da rief die Frau voll Freude „Herz, was begehrst du nun?“ und sie setzten sich nieder, aßen und tranken zusammen. Wie sie satt waren, fragte die Frau „aber, Mann, wo kommt all dieser Reichthum her?“ „Ach,“ antwortete er, „frage mich nicht darum, ich darf dirs nicht sagen, wenn ichs jemand entdecke, so ist unser Glück wieder dahin.“ „Gut,“ sprach sie, „wenn ichs nicht wissen soll, so begehr ichs auch nicht zu wissen.“ Das war aber ihr Ernst nicht, es ließ ihr keine Ruhe Tag und Nacht, und sie quälte und stachelte den Mann so lang, bis er in der Ungeduld heraus sagte, es käme alles von einem wunderbaren goldenen Fisch, den er gefangen und dafür wieder in Freiheit gelassen hätte. Und wies heraus war, da verschwand alsbald das schöne Schloß mit dem Schrank, und sie saßen wieder in der alten Fischerhütte.

Der Mann mußte von vornen anfangen seinem Gewerbe nachgehen und fischen. Das Glück wollte es aber, daß er den goldenen Fisch noch einmal herauszog. „Hör,“ sprach der Fisch, „wenn du mich wieder ins Wasser wirfst, so will ich dir noch einmal das Schloß mit dem Schrank voll Gesottenem und Gebratenem zurückgeben; nur halt dich fest und verrath bei Leibe nicht von wem dus hast, sonst gehts wieder verloren.“ „Ich will mich schon hüten“ antwortete der Fischer und warf den Fisch in sein Wasser hinab. Daheim war nun alles wieder in voriger Herrlichkeit, und die Frau war in einer Freude über das Glück; aber die Neugierde ließ ihr doch keine Ruhe, daß sie nach ein paar Tagen wieder zu fragen anhub wie es zugegangen wäre und wie er es angefangen habe. Der Mann schwieg eine Zeitlang still dazu, endlich aber [427] machte sie ihn so ärgerlich, daß er herausplatzte und das Geheimnis verrieth. In dem Augenblick verschwand das Schloß und sie saßen wieder in der alten Hütte. „Nun hast dus,“ sagte der Mann, „jetzt können wir wieder am Hungertuch nagen.“ „Ach,“ sprach die Frau, „ich will den Reichthum lieber nicht, wenn ich nicht weiß von wem er kommt; sonst habe ich doch keine Ruhe.“

Der Mann gieng wieder fischen, und über eine Zeit so wars nicht anders, er holte den Goldfisch zum drittenmal heraus. „Hör,“ sprach der Fisch: „ich sehe wohl, ich soll immer wieder in deine Hände fallen, nimm mich mit nach Haus, und zerschneid mich in sechs Stücke, zwei davon gieb deiner Frau zu essen, zwei deinem Pferd, und zwei leg in die Erde, so wirst du Segen davon haben.“ Der Mann nahm den Fisch mit nach Haus und that wie er ihm gesagt hatte. Es geschah aber, daß aus den zwei Stücken, die in die Erde gelegt waren, zwei goldene Lilien aufwuchsen, und daß das Pferd zwei goldene Füllen bekam, und des Fischers Frau zwei Kinder gebar, die ganz golden waren.

Die Kinder wuchsen heran, wurden groß und schön, und die Lilien und Pferde wuchsen mit ihnen. Da sprachen sie „Vater, wir wollen uns auf unsere goldenen Rosse setzen und in die Welt ausziehen.“ Er aber antwortete betrübt „wie will ichs aushalten, wenn ihr fortzieht und ich nicht weiß wies euch geht?“ Da sagten sie „die zwei goldenen Lilien bleiben hier, daran könnt ihr sehen, wies uns geht: sind sie frisch, so sind wir gesund; sind sie welk, so sind wir krank; fallen sie um, so sind wir todt.“ Sie ritten fort und kamen in ein Wirthshaus, darin waren viele Leute, und als sie die zwei Goldkinder erblickten, fiengen sie an zu lachen und zu spotten. Wie der eine das Gespött hörte, so schämte er sich, wollte nicht in die Welt, kehrte um und kam wieder heim zu seinem Vater. Der andere aber ritt fort und gelangte zu einem großen Wald. Und als er hinein reiten wollte, [428] sprachen die Leute „es geht nicht, daß ihr durchreitet, der Wald ist voll Räuber, die werden übel mit euch umgehen, und gar, wenn sie sehen daß ihr golden seid und euere Pferde auch, so werden sie euch todt schlagen.“ Er aber ließ sich nicht schrecken und sprach „ich muß und soll hindurch.“ Da nahm er Bärenfelle und überzog sich und sein Pferd damit, daß nichts mehr vom Gold zu sehen war, und ritt getrost in den Wald hinein. Als er ein wenig fortgeritten war, so hörte er es in den Gebüschen rauschen und vernahm Stimmen, die miteinander sprachen. Von der einen Seite riefs „da ist einer,“ von der andern aber „laß ihn laufen, das ist ein Bärenhäuter, und arm und kahl, wie eine Kirchenmaus, was sollen wir mit ihm anfangen!“ So ritt das Goldkind glücklich durch den Wald und geschah ihm kein Leid.

Eines Tags kam er in ein Dorf, darin sah er ein Mädchen, das war so schön, daß er nicht glaubte es könnte ein schöneres auf der Welt sein. Und weil er eine so große Liebe zu ihm empfand, so gieng er zu ihm und sagte „ich habe dich von ganzem Herzen lieb, willst du meine Frau werden?“ Er gefiel aber auch dem Mädchen so sehr, daß es einwilligte und sprach „ja, ich will deine Frau werden und dir treu sein mein Lebelang.“ Nun hielten sie Hochzeit zusammen, und als sie eben in der größten Freude waren, kam der Vater der Braut heim, und als er sah daß seine Tochter Hochzeit machte, verwunderte er sich und sprach „wo ist der Bräutigam?“ Sie zeigten ihm das Goldkind, das hatte aber noch seine Bärenfelle um. Da sprach der Vater zornig „nimmermehr soll ein Bärenhäuter meine Tochter haben,“ und wollte ihn ermorden. Da bat ihn die Braut, was sie konnte, und sprach „er ist einmal mein Mann, und ich habe ihn von Herzen lieb,“ bis er sich endlich besänftigen ließ. Doch aber kams ihm nicht aus den Gedanken, so daß er am andern Morgen früh aufstand und seiner Tochter Mann sehen wollte, ob er ein gemeiner und verlumpter Bettler wäre. [429] Wie er aber hinblickte, sah er einen herrlichen, goldenen Mann im Bette, und die abgeworfenen Bärenfelle lagen auf der Erde. Da gieng er zurück und dachte „wie gut ists, daß ich meinen Zorn bändigte, ich hätte eine große Missethat begangen.“

Dem Goldkind aber träumte er zöge hinaus auf die Jagd nach einem prächtigen Hirsch, und als er am Morgen erwachte, sprach er zu seiner Braut „ich will hinaus auf die Jagd.“ Ihr war angst, und sie bat ihn da zu bleiben und sagte „leicht kann dir ein großes Unglück begegnen,“ aber er antwortete „ich soll und muß fort.“ Da stand er auf und zog hinaus in den Wald, und gar nicht lange, so hielt auch ein stolzer Hirsch vor ihm, ganz nach seinem Traume. Er legte an und wollte ihn schießen, aber der Hirsch sprang fort. Da jagte er ihm nach, über Graben und durch Gebüsche, und ward nicht müde den ganzen Tag; am Abend aber verschwand der Hirsch vor seinen Augen. Und als das Goldkind sich umsah, so stand er vor einem kleinen Haus, darin saß eine Hexe. Er klopfte an, und ein Mütterchen kam heraus und fragte „was wollt ihr so spät noch mitten in dem großen Wald?“ Er sprach „habt ihr keinen Hirsch gesehen?“ „Ja,“ antwortete sie, „den Hirsch kenn ich wohl,“ und ein Hündlein, das mit ihr aus dem Haus gekommen war, bellte dabei den Mann heftig an. „Willst du schweigen, du böse Kröte,“ sprach er, „sonst schieß ich dich todt.“ Da rief die Hexe zornig „was, mein Hündchen willst du tödten!“ und verwandelte ihn alsbald, daß er da lag wie ein Stein, und seine Braut erwartete ihn umsonst und dachte „es ist gewiß eingetroffen, was mir so Angst machte und so schwer auf dem Herzen lag.“

Daheim aber stand der andere Bruder bei den Goldlilien, als plötzlich eine davon umfiel. „Ach Gott,“ sprach er, „meinem Bruder ist ein großes Unglück zugestoßen, ich muß fort, ob ich ihn vielleicht errette.“ Da sagte der Vater „bleib hier, wenn ich auch dich verliere, was soll ich anfangen?“ Er aber antwortete „ich [430] soll und muß fort.“ Da setzte er sich auf sein goldenes Pferd und ritt fort und kam in den großen Wald, wo sein Bruder lag und Stein war. Die alte Hexe kam aus ihrem Haus, rief ihn an und wollte ihn auch berücken, aber er näherte sich nicht, sondern sprach „ich schieße dich nieder, wenn du meinen Bruder nicht wieder lebendig machst.“ Sie rührte, so ungerne sies auch that, den Stein mit dem Finger an, und alsbald erhielt er sein menschliches Leben zurück. Die beiden Goldkinder aber freuten sich, als sie sich wiedersahen, küßten und herzten sich, und ritten zusammen fort aus dem Wald, der eine zu seiner Braut, der andere heim zu seinem Vater. Da sprach der Vater „ich wußte wohl, daß du deinen Bruder erlöst hattest, denn die goldene Lilie ist auf einmal wieder aufgestanden und hat fortgeblüht.“ Nun lebten sie vergnügt, und es gieng ihnen wohl bis an ihr Ende.