Herr Korbes

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 41 – Gast: Jan Gießmann

Herr Korbes

Es war einmal ein Hühnchen und ein Hähnchen, die wollten zusammen eine Reise machen. Da baute das Hähnchen einen schönen Wagen, der vier rothe Räder hatte, und spannte vier Mäuschen davor. Das Hühnchen setzte sich mit dem Hähnchen auf und sie fuhren mit einander fort. Nicht lange, so begegnete ihnen eine Katze, die sprach „wo wollt ihr hin?“ Hähnchen antwortete

„als hinaus
nach des Herrn Korbes seinem Haus.“
„Nehmt mich mit“ sprach die Katze. Hähnchen antwortete „recht gerne, setz dich hinten auf, daß du vornen nicht herabfällst.

Nehmt euch wohl in acht
daß ihr meine rothen Räderchen nicht schmutzig macht.
Ihr Räderchen, schweift,
ihr Mäuschen, pfeift,
als hinaus
nach des Herrn Korbes seinem Haus.“
Danach kam ein Mühlstein, dann ein Ei, dann eine Ente, dann eine Stecknadel, und zuletzt eine Nähnadel, die setzten sich auch alle auf den Wagen und fuhren mit. Wie sie aber zu des Herrn Korbes Haus kamen, so war der Herr Korbes nicht da. Die Mäuschen fuhren den Wagen in die Scheune, das Hühnchen flog mit dem Hähnchen auf eine Stange, die Katze setzte sich ins Kamin, die Ente in die Bornstange, das Ei wickelte sich ins Handtuch, [215] die Stecknadel steckte sich ins Stuhlkissen, die Nähnadel sprang aufs Bett mitten ins Kopfkissen, und der Mühlstein legte sich über die Thüre. Da kam der Herr Korbes nach Haus, gieng ans Kamin und wollte Feuer anmachen, da warf ihm die Katze das Gesicht voll Asche. Er lief geschwind in die Küche und wollte sich abwaschen, da sprützte ihm die Ente Wasser ins Gesicht. Er wollte sich an dem Handtuch abtrocknen, aber das Ei rollte ihm entgegen, zerbrach und klebte ihm die Augen zu. Er wollte sich ruhen, und setzte sich auf den Stuhl, da stach ihn die Stecknadel. Er gerieth in Zorn, und warf sich aufs Bett, wie er aber den Kopf aufs Kissen niederlegte, stach ihn die Nähnadel, so daß er aufschrie und ganz wüthend in die weite Welt laufen wollte. Wie er aber an die Hausthür kam, sprang der Mühlstein herunter und schlug ihn todt. Der Herr Korbes muß ein recht böser Mann gewesen sein.


QUELLE
https://de.wikisource.org/wiki/Herr_Korbes_(1857)


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Hänsel & Grethel

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 15 – Gast: Stefan Baumann

Hänsel & Grethel

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Grethel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Theuerung ins Land kam, konnte er auch das täglich Brot nicht mehr schaffen. Wie er sich nun Abends im Bette Gedanken machte und sich vor Sorgen herum wälzte, seufzte er und sprach zu seiner Frau „was soll aus uns werden? wie können wir unsere armen Kinder ernähren, da wir für uns selbst nichts mehr haben?“ „Weißt du was, Mann,“ antwortete die Frau, „wir wollen Morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald führen, wo er am dicksten ist: da machen wir ihnen ein Feuer an und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den Weg nicht wieder nach Haus und wir sind sie los.“ „Nein, Frau,“ sagte der Mann, „das thue ich nicht; wie sollt ichs übers Herz bringen meine Kinder im Walde allein zu lassen, die wilden Thiere würden bald kommen und sie zerreißen.“ „O du Narr,“ sagte sie, „dann müssen wir alle viere Hungers sterben, du kannst nur die Bretter für die Särge hobelen,“ und ließ ihm keine Ruhe bis er einwilligte. „Aber die armen Kinder dauern mich doch“ sagte der Mann.

Die zwei Kinder hatten vor Hunger auch nicht einschlafen können und hatten gehört was die Stiefmutter zum Vater gesagt [80] hatte. Grethel weinte bittere Thränen und sprach zu Hänsel „nun ists um uns geschehen.“ „Still, Grethel,“ sprach Hänsel, „gräme dich nicht, ich will uns schon helfen.“ Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Unterthüre auf und schlich sich hinaus. Da schien der Mond ganz helle, und die weißen Kieselsteine, die vor dem Haus lagen, glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viel in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten. Dann gieng er wieder zurück, sprach zu Grethel „sei getrost, liebes Schwesterchen und schlaf nur ruhig ein, Gott wird uns nicht verlassen,“ und legte sich wieder in sein Bett.

Als der Tag anbrach, noch ehe die Sonne aufgegangen war, kam schon die Frau und weckte die beiden Kinder, „steht auf, ihr Faullenzer, wir wollen in den Wald gehen und Holz holen.“ Dann gab sie jedem ein Stückchen Brot und sprach „da habt ihr etwas für den Mittag, aber eßts nicht vorher auf, weiter kriegt ihr nichts.“ Grethel nahm das Brot unter die Schürze, weil Hänsel die Steine in der Tasche hatte. Danach machten sie sich alle zusammen auf den Weg nach dem Wald. Als sie ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel still und guckte nach dem Haus zurück und that das wieder und immer wieder. Der Vater sprach „Hänsel, was guckst du da und bleibst zurück, hab Acht und vergiß deine Beine nicht.“ „Ach, Vater,“ sagte Hänsel, „ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir Ade sagen.“ Die Frau sprach „Narr, das ist dein Kätzchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint.“ Hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.

Als sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater „nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, [81] damit ihr nicht friert.“ Hänsel und Grethel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig ward angezündet, und als die Flamme recht hoch brannte, sagte die Frau „nun legt euch ans Feuer, ihr Kinder und ruht euch aus, wir gehen in den Wald und hauen Holz. Wenn wir fertig sind, kommen wir wieder und holen euch ab.“

Hänsel und Grethel saßen am Feuer, und als der Mittag kam, aß jedes sein Stücklein Brot. Und weil sie die Schläge der Holzaxt hörten, so glaubten sie ihr Vater wäre in der Nähe. Es war aber nicht die Holzaxt, es war ein Ast, den er an einen dürren Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug. Und als sie so lange gesessen hatten, fielen ihnen die Augen vor Müdigkeit zu, und sie schliefen fest ein. Als sie endlich erwachten, war es schon finstere Nacht. Grethel fieng an zu weinen und sprach „wie sollen wir nun aus dem Wald kommen!“ Hänsel aber tröstete sie, „wart nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann wollen wir den Weg schon finden.“ Und als der volle Mond aufgestiegen war, so nahm Hänsel sein Schwesterchen an der Hand und gieng den Kieselsteinen nach, die schimmerten wie neu geschlagene Batzen und zeigten ihnen den Weg. Sie giengen die ganze Nacht hindurch und kamen bei anbrechendem Tag wieder zu ihres Vaters Haus. Sie klopften an die Thür, und als die Frau aufmachte und sah daß es Hänsel und Grethel war, sprach sie „ihr bösen Kinder, was habt ihr so lange im Walde geschlafen, wir haben geglaubt ihr wolltet gar nicht wieder kommen.“ Der Vater aber freute sich, denn es war ihm zu Herzen gegangen daß er sie so allein zurück gelassen hatte.

Nicht lange danach war wieder Noth in allen Ecken, und die Kinder hörten wie die Mutter Nachts im Bette zu dem Vater sprach „alles ist wieder aufgezehrt, wir haben noch einen halben Laib Brot, hernach hat das Lied ein Ende. Die Kinder müssen [82] fort, wir wollen sie tiefer in den Wald hineinführen, damit sie den Weg nicht wieder heraus finden; es ist sonst keine Rettung für uns.“ Dem Mann fiels schwer aufs Herz und er dachte „es wäre besser, daß du den letzten Bissen mit deinen Kindern theiltest.“ Aber die Frau hörte auf nichts, was er sagte, schalt ihn und machte ihm Vorwürfe. Wer A sagt muß auch B sagen, und weil er das erste Mal nachgegeben hatte, so mußte er es auch zum zweiten Mal.

Die Kinder waren aber noch wach gewesen und hatten das Gespräch mit angehört. Als die Alten schliefen, stand Hänsel wieder auf, wollte hinaus und Kieselsteine auflesen, wie das vorigemal, aber die Frau hatte die Thür verschlossen, und Hänsel konnte nicht heraus. Aber er tröstete sein Schwesterchen und sprach „weine nicht, Grethel, und schlaf nur ruhig, der liebe Gott wird uns schon helfen.“

Am frühen Morgen kam die Frau und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das war aber noch kleiner als das vorigemal. Auf dem Wege nach dem Wald bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still und warf ein Bröcklein auf die Erde. „Hänsel, was stehst du und guckst dich um,“ sagte der Vater, „geh deiner Wege.“ „Ich sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache und will mir Ade sagen,“ antwortete Hänsel. „Narr,“ sagte die Frau, „das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.“ Hänsel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg.

Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte „bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müde seid, könnt ihr ein wenig schlafen: wir gehen in den Wald und hauen Holz, und Abends, wenn wir fertig sind, kommen wir und holen euch ab.“ Als es Mittag war, [83] theilte Grethel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend vergieng, aber niemand kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finstern Nacht, und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte, „wart nur, Grethel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus.“ Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden kein Bröcklein mehr, denn die viel tausend Vögel, die im Walde und im Felde umher fliegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu Grethel „wir werden den Weg schon finden,“ aber sie fanden ihn nicht. Sie giengen die ganze Nacht und noch einen Tag von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Wald nicht heraus, und waren so hungrig, denn sie hatten nichts als die paar Beeren, die auf der Erde standen. Und weil sie so müde waren daß die Beine sie nicht mehr tragen wollten, so legten sie sich unter einen Baum und schliefen ein.

Nun wars schon der dritte Morgen, daß sie ihres Vaters Haus verlassen hatten. Sie fiengen wieder an zu gehen, aber sie geriethen immer tiefer in den Wald und wenn nicht bald Hilfe kam, so mußten sie verschmachten. Als es Mittag war, sahen sie ein schönes schneeweißes Vöglein auf einem Ast sitzen, das sang so schön, daß sie stehen blieben und ihm zuhörten. Und als es fertig war, schwang es seine Flügel und flog vor ihnen her, und sie giengen ihm nach, bis sie zu einem Häuschen gelangten, auf dessen Dach es sich setzte, und als sie ganz nah heran kamen, so sahen sie daß das Häuslein aus Brot gebaut war, und mit Kuchen gedeckt; aber die Fenster waren von hellem Zucker. „Da wollen wir uns dran machen,“ sprach Hänsel, „und eine gesegnete Mahlzeit halten. Ich will ein Stück vom Dach essen, Grethel, du kannst vom Fenster essen, das schmeckt süß.“ Hänsel reichte in die Höhe und brach sich ein wenig vom Dach ab, um zu versuchen [84] wie es schmeckte, und Grethel stellte sich an die Scheiben und knuperte daran. Da rief eine feine Stimme aus der Stube heraus

„knuper, knuper, kneischen,
wer knupert an meinem Häuschen?“
die Kinder antworteten

„der Wind, der Wind,
das himmlische Kind,“
und aßen weiter, ohne sich irre machen zu lassen. Hänsel, dem das Dach sehr gut schmeckte, riß sich ein großes Stück davon herunter, und Grethel stieß eine ganze runde Fensterscheibe heraus, setzte sich nieder, und that sich wohl damit. Da gieng auf einmal die Thüre auf, und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam heraus geschlichen. Hänsel und Grethel erschracken so gewaltig, daß sie fallen ließen was sie in den Händen hielten. Die Alte aber wackelte mit dem Kopfe und sprach „ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierher gebracht? kommt nur herein und bleibt bei mir, es geschieht euch kein Leid.“ Sie faßte beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da ward gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannekuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse. Hernach wurden zwei schöne Bettlein weiß gedeckt, und Hänsel und Grethel legten sich hinein und meinten sie wären im Himmel.

Die Alte hatte sich nur so freundlich angestellt, sie war aber eine böse Hexe, die den Kindern auflauerte, und hatte das Brothäuslein bloß gebaut, um sie herbeizulocken. Wenn eins in ihre Gewalt kam, so machte sie es todt, kochte es und aß es, und das war ihr ein Festtag. Die Hexen haben rothe Augen und können nicht weit sehen, aber sie haben eine feine Witterung, wie die Thiere, und merkens wenn Menschen heran kommen. Als Hänsel und Grethel in ihre Nähe kamen, da lachte sie boshaft und sprach höhnisch „die habe ich, die sollen mir nicht wieder entwischen.“ [85] Früh Morgens ehe die Kinder erwacht waren, stand sie schon auf, und als sie beide so lieblich ruhen sah, mit den vollen rothen Backen, so murmelte sie vor sich hin „das wird ein guter Bissen werden.“ Da packte sie Hänsel mit ihrer dürren Hand und trug ihn in einen kleinen Stall und sperrte ihn mit einer Gitterthüre ein; er mochte schreien wie er wollte, es half ihm nichts. Dann gieng sie zur Grethel, rüttelte sie wach und rief „steh auf, Faullenzerin, trag Wasser und koch deinem Bruder etwas gutes, der sitzt draußen im Stall und soll fett werden. Wenn er fett ist, so will ich ihn essen.“ Grethel fieng an bitterlich zu weinen, aber es war alles vergeblich, sie mußte thun was die böse Hexe verlangte.

Nun ward dem armen Hänsel das beste Essen gekocht, aber Grethel bekam nichts als Krebsschalen. Jeden Morgen schlich die Alte zu dem Ställchen und rief „Hänsel, streck deine Finger heraus, damit ich fühle ob du bald fett bist.“ Hänsel streckte ihr aber ein Knöchlein heraus, und die Alte, die trübe Augen hatte, konnte es nicht sehen, und meinte es wären Hänsels Finger, und verwunderte sich daß er gar nicht fett werden wollte. Als vier Wochen herum waren und Hänsel immer mager blieb, da übernahm sie die Ungeduld, und sie wollte nicht länger warten. „Heda, Grethel,“ rief sie dem[1] Mädchen zu, „sei flink und trag Wasser: Hänsel mag fett oder mager sein, morgen will ich ihn schlachten und kochen.“ Ach, wie jammerte das arme Schwesterchen, als es das Wasser tragen mußte, und wie flossen ihm die Thränen über die Backen herunter! „Lieber Gott, hilf uns doch,“ rief sie aus, „hätten uns nur die wilden Thiere im Wald gefressen, so wären wir doch zusammen gestorben.“ „Spar nur dein Geblärre,“ sagte die Alte, „es hilft dir alles nichts.“

Früh Morgens mußte Grethel heraus, den Kessel mit Wasser aufhängen und Feuer anzünden. „Erst wollen wir backen“ sagte die Alte, „ich habe den Backofen schon eingeheizt und den Teig geknätet.“ [86] Sie stieß das arme Grethel hinaus zu dem Backofen, aus dem die Feuerflammen schon heraus schlugen. „Kriech hinein,“ sagte die Hexe, „und sieh zu ob recht eingeheizt ist, damit wir das Brot hineinschießen können.“ Und wenn Grethel darin war, wollte sie den Ofen zumachen, und Grethel sollte darin braten, und dann wollte sies auch aufessen. Aber Grethel merkte was sie im Sinn hatte und sprach „ich weiß nicht wie ichs machen soll; wie komm ich da hinein?“ „Dumme Gans,“ sagte die Alte, „die Öffnung ist groß genug, siehst du wohl, ich könnte selbst hinein,“ krappelte heran und steckte den Kopf in den Backofen. Da gab ihr Grethel einen Stoß daß sie weit hinein fuhr, machte die eiserne Thür zu und schob den Riegel vor. Hu! da fieng sie an zu heulen, ganz grauselich; aber Grethel lief fort, und die gottlose Hexe mußte elendiglich verbrennen.

Grethel aber lief schnurstracks zum Hänsel, öffnete sein Ställchen und rief „Hänsel, wir sind erlöst, die alte Hexe ist todt.“ Da sprang Hänsel heraus, wie ein Vogel aus dem Käfig, wenn ihm die Thüre aufgemacht wird. Wie haben sie sich gefreut, sind sich um den Hals gefallen, sind herumgesprungen und haben sich geküßt! Und weil sie sich nicht mehr zu fürchten brauchten, so giengen sie in das Haus der Hexe hinein, da standen in allen Ecken Kasten mit Perlen und Edelsteinen. „Die sind noch besser als Kieselsteine“ sagte Hänsel und steckte in seine Taschen was hinein wollte, und Grethel sagte „ich will auch etwas mit nach Haus bringen“ und füllte sich sein Schürzchen voll. „Aber jetzt wollen wir fort,“ sagte Hänsel, „damit wir aus dem Hexenwald herauskommen.“ Als sie aber ein paar Stunden gegangen waren, gelangten sie an ein großes Wasser. „Wir können nicht hinüber,“ sprach Hänsel, „ich sehe keinen Steg und keine Brücke.“ „Hier fährt auch kein Schiffchen,“ antwortete Grethel, „aber da schwimmt eine weiße Ente, wenn ich die bitte, so hilft sie uns hinüber.“ Da rief sie

[87]
„Entchen, Entchen,
da steht Grethel und Hänsel.
Kein Steg und keine Brücke,
nimm uns auf deinen weißen Rücken.“
Das Entchen kam auch heran, und Hänsel setzte sich auf und bat sein Schwesterchen sich zu ihm zu setzen. „Nein,“ antwortete Grethel, „es wird dem Entchen zu schwer, es soll uns nach einander hinüber bringen.“ Das that das gute Thierchen, und als sie glücklich drüben waren und ein Weilchen fortgiengen, da kam ihnen der Wald immer bekannter und immer bekannter vor, und endlich erblickten sie von weitem ihres Vaters Haus. Da fiengen sie an zu laufen, stürzten in die Stube hinein und fielen ihrem Vater um den Hals. Der Mann hatte keine frohe Stunde gehabt, seitdem er die Kinder im Walde gelassen hatte, die Frau aber war gestorben. Grethel schüttete sein Schürzchen aus daß die Perlen und Edelsteine in der Stube herumsprangen, und Hänsel warf eine Handvoll nach der andern aus seiner Tasche dazu. Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen. Mein Märchen ist aus, dort lauft eine Maus, wer sie fängt, darf sich eine große große Pelzkappe daraus machen.


QUELLE
https://de.wikisource.org/wiki/Hänsel_und_Grethel_(1857)


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Die drei Schlangenblätter

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 16 – Gast: Mirko Gutjahr

Die drei Schlangenblätter

Es war einmal ein armer Mann, der konnte seinen einzigen Sohn nicht mehr ernähren. Da sprach der Sohn „lieber Vater, es geht euch so kümmerlich, ich falle euch zur Last, lieber will ich selbst fortgehen und sehen wie ich mein Brot verdiene.“ Da gab ihm der Vater seinen Segen und nahm mit großer Trauer von ihm Abschied. Zu dieser Zeit führte der König eines mächtigen Reichs Krieg, der Jüngling nahm Dienste bei ihm und zog mit ins Feld. Und als er vor den Feind kam, so ward eine Schlacht geliefert, und es war große Gefahr, und regnete blaue Bohnen, daß seine Kameraden von allen Seiten niederfielen. Und als auch der Anführer blieb, so wollten die übrigen die Flucht ergreifen, aber der Jüngling trat heraus, sprach ihnen Muth zu und rief „wir wollen unser Vaterland nicht zu Grunde gehen lassen.“ Da folgten ihm die andern, und er drang ein und schlug den Feind. Der König, als er hörte daß er ihm allein den Sieg zu danken habe, erhob ihn über alle andern, gab ihm große Schätze und machte ihn zum ersten in seinem Reich.

Der König hatte eine Tochter, die war sehr schön, aber sie war auch sehr wunderlich. Sie hatte das Gelübde gethan, keinen zum Herrn und Gemahl zu nehmen, der nicht verspräche, wenn sie zuerst stürbe, sich lebendig mit ihr begraben zu lassen. „Hat er mich von Herzen lieb,“ sagte sie, „wozu dient ihm dann noch das Leben?“ Dagegen wollte sie ein Gleiches thun, und wenn er zuerst stürbe, mit ihm in das Grab steigen. Dieses seltsame Gelübde [89] hatte bis jetzt alle Freier abgeschreckt, aber der Jüngling wurde von ihrer Schönheit so eingenommen, daß er auf nichts achtete, sondern bei ihrem Vater um sie anhielt. „Weißt du auch,“ sprach der König, „was du versprechen mußt?“ „Ich muß mit ihr in das Grab gehen,“ antwortete er, „wenn ich sie überlebe, aber meine Liebe ist so groß, daß ich der Gefahr nicht achte.“ Da willigte der König ein, und die Hochzeit ward mit großer Pracht gefeiert.

Nun lebten sie eine Zeitlang glücklich und vergnügt mit einander, da geschah es, daß die junge Königin in eine schwere Krankheit fiel, und kein Arzt ihr helfen konnte. Und als sie todt da lag, da erinnerte sich der junge König was er hatte versprechen müssen, und es grauste ihm davor, sich lebendig in das Grab zu legen, aber es war kein Ausweg: der König hatte alle Thore mit Wachen besetzen lassen, und es war nicht möglich dem Schicksal zu entgehen. Als der Tag kam, wo die Leiche in das königliche Gewölbe beigesetzt wurde, da ward er mit hinabgeführt, und dann das Thor verriegelt und verschlossen.

Neben dem Sarg stand ein Tisch, darauf vier Lichter, vier Laibe Brot und vier Flaschen Wein. Sobald dieser Vorrath zu Ende gieng, mußte er verschmachten. Nun saß er da voll Schmerz und Trauer, aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch wie der Tod immer näher rückte. Indem er so vor sich hinstarrte, sah er aus der Ecke des Gewölbes eine Schlange hervor kriechen, die sich der Leiche näherte. Und weil er dachte sie käme um daran zu nagen, zog er sein Schwert und sprach „so lange ich lebe sollst du sie nicht anrühren,“ und hieb sie in drei Stücke. Über ein Weilchen kroch eine zweite Schlange aus der Ecke hervor, als sie aber die andere todt und zerstückt liegen sah, gieng sie zurück, kam bald wieder und hatte drei grüne Blätter im Munde. Dann nahm sie die drei Stücke von der Schlange, legte sie, wie sie zusammen gehörten, und that [90] auf jede Wunde eins von den Blättern. Alsbald fügte sich das Getrennte an einander, die Schlange regte sich und ward wieder lebendig, und beide eilten mit einander fort. Die Blätter blieben auf der Erde liegen, und dem Unglücklichen, der alles mit angesehen hatte, kam es in die Gedanken, ob nicht die wunderbare Kraft der Blätter, welche die Schlange wieder lebendig gemacht hatte, auch einem Menschen helfen könnte. Er hob also die Blätter auf und legte eins davon auf den Mund der Todten, die beiden andern auf ihre Augen. Und kaum war es geschehen, so bewegte sich das Blut in den Adern, stieg in das bleiche Angesicht und röthete es wieder. Da zog sie Athem, schlug die Augen auf und sprach „ach, Gott, wo bin ich?“ „Du bist bei mir, liebe Frau,“ antwortete er, und erzählte ihr wie alles gekommen war und er sie wieder ins Leben erweckt hatte. Dann reichte er ihr etwas Wein und Brot, und als sie wieder zu Kräften gekommen war, erhob sie sich, und sie giengen zu der Thüre, und klopften und riefen so laut daß es die Wachen hörten und dem König meldeten. Der König kam selbst herab und öffnete die Thüre, da fand er beide frisch und gesund, und freute sich mit ihnen daß nun alle Noth überstanden war. Die drei Schlangenblätter aber nahm der junge König mit, gab sie einem Diener und sprach „verwahr sie mir sorgfältig, und trag sie zu jeder Zeit bei dir, wer weiß in welcher Noth sie uns noch helfen können.“

Es war aber in der Frau, nachdem sie wieder ins Leben war erweckt worden, eine Veränderung vorgegangen: es war als ob alle Liebe zu ihrem Manne aus ihrem Herzen gewichen wäre. Als er nach einiger Zeit eine Fahrt zu seinem alten Vater über das Meer machen wollte und sie auf ein Schiff gestiegen waren, so vergaß sie die große Liebe und Treue, die er ihr bewiesen und womit er sie vom Tode gerettet hatte, und faßte eine böse Neigung zu dem Schiffer. Und als der junge König einmal da lag und [91] schlief, rief sie den Schiffer herbei, und faßte den schlafenden am Kopfe, und der Schiffer mußte ihn an den Füßen fassen, und so warfen sie ihn hinab ins Meer. Als die Schandthat vollbracht war, sprach sie zu ihm „nun laß uns heimkehren und sagen er sei unterwegs gestorben. Ich will dich schon bei meinem Vater so herausstreichen und rühmen, daß er mich mit dir vermählt und dich zum Erben seiner Krone einsetzt.“ Aber der treue Diener, der alles mit angesehen hatte, machte unbemerkt ein kleines Schifflein von dem großen los, setzte sich hinein, schiffte seinem Herrn nach, und ließ die Verräther fortfahren. Er fischte den Todten wieder auf, und mit Hilfe der drei Schlangenblätter, die er bei sich trug, und auf die Augen und den Mund legte, brachte er ihn glücklich wieder ins Leben.

Sie ruderten beide aus allen Kräften Tag und Nacht, und ihr kleines Schiff flog so schnell dahin daß sie früher als das andere bei dem alten Könige anlangten. Er verwunderte sich als er sie allein kommen sah und fragte was ihnen begegnet wäre. Als er die Bosheit seiner Tochter vernahm, sprach er „ich kanns nicht glauben, daß sie so schlecht gehandelt hat, aber die Wahrheit wird bald an den Tag kommen,“ und hieß beide in eine verborgene Kammer gehen und sich vor jedermann heimlich halten. Bald hernach kam das große Schiff herangefahren, und die gottlose Frau erschien vor ihrem Vater mit einer betrübten Miene. Er sprach „warum kehrst du allein zurück? wo ist dein Mann?“ „Ach, lieber Vater,“ antwortete sie, „ich komme in großer Trauer wieder heim, mein Mann ist während der Fahrt plötzlich erkrankt und gestorben, und wenn der gute Schiffer mir nicht Beistand geleistet hätte, so wäre es mir schlimm ergangen; er ist bei seinem Tode zugegen gewesen und kann euch alles erzählen.“ Der König sprach „ich will den Todten wieder lebendig machen“ und öffnete die Kammer, und hieß die beiden heraus gehen. Die Frau, als sie ihren Mann [92] erblickte, war wie vom Donner gerührt, sank auf die Knie und bat um Gnade. Der König sprach „da ist keine Gnade, er war bereit mit dir zu sterben und hat dir dein Leben wieder gegeben, du aber hast ihn im Schlaf umgebracht, und sollst deinen verdienten Lohn empfangen.“ Da ward sie mit ihrem Helfershelfer in ein durchlöchertes Schiff gesetzt und hinaus ins Meer getrieben, wo sie bald in den Wellen versanken.


Wikipediatext über das Märchen
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_drei_Schlangenblätter
QUELLE
https://de.wikisource.org/wiki/Die_drei_Schlangenblätter_(1857)


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