Die Bienenkönigin

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 62 – Gast: Jan Watermann

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62. Die Bienenkönigin

Zwei Königssöhne giengen einmal auf Abenteuer und geriethen in ein wildes, wüstes Leben, so daß sie gar nicht wieder nach Haus kamen. Der jüngste, welcher der Dummling hieß, machte sich auf und suchte seine Brüder: aber wie er sie endlich fand, verspotteten sie ihn, daß er mit seiner Einfalt sich durch die Welt schlagen wollte, und sie zwei könnten nicht durchkommen, und wären doch viel klüger. Sie zogen alle drei miteinander fort und kamen an einen Ameisenhaufen. Die zwei ältesten wollten ihn aufwühlen und sehen wie die kleinen Ameisen in der Angst herumkröchen und ihre Eier forttrügen, aber der Dummling sagte „laßt die Thiere in Frieden, ich leids nicht, daß ihr sie stört.“ Da giengen sie weiter und kamen an einen See, auf dem schwammen viele viele Enten. Die zwei Brüder wollten ein paar fangen und braten, aber der Dummling ließ es nicht zu, und sprach „laßt die Thiere in Frieden, ich leids nicht, daß ihr sie tödtet.“ Endlich kamen sie an ein Bienennest, darin war so viel Honig, daß er am Stamm herunterlief. Die zwei wollten Feuer unter den Baum legen und die Bienen ersticken, damit sie den Honig wegnehmen könnten. Der Dummling hielt sie aber wieder ab, und sprach „laßt die Thiere in Frieden, ich leids nicht, daß ihr sie verbrennt.“ Endlich kamen die drei Brüder in ein Schloß, wo in den Ställen lauter steinerne Pferde standen, auch war kein Mensch zu sehen, und sie giengen durch alle Säle, bis sie vor eine Thür ganz am Ende kamen, davor hiengen drei Schlösser; es war aber mitten in der Thüre [342] ein Lädlein, dadurch konnte man in die Stube sehen. Da sahen sie ein graues Männchen, das an einem Tisch saß. Sie riefen es an, einmal, zweimal, aber es hörte nicht: endlich riefen sie zum drittenmal, da stand es auf, öffnete die Schlösser und kam heraus. Er sprach aber kein Wort, sondern führte sie zu einem reichbesetzten Tisch; und als sie gegessen und getrunken hatten, brachte es einen jeglichen in sein eigenes Schlafgemach. Am andern Morgen kam das graue Männchen zu dem ältesten, winkte und leitete ihn zu einer steinernen Tafel, darauf standen drei Aufgaben geschrieben, wodurch das Schloß erlöst werden könnte. Die erste war, in dem Wald unter dem Moos lagen die Perlen der Königstochter, tausend an der Zahl, die mußten aufgesucht werden, und wenn vor Sonnenuntergang noch eine einzige fehlte, so ward der, welcher gesucht hatte, zu Stein. Der älteste gieng hin und suchte den ganzen Tag, als aber der Tag zu Ende war, hatte er erst hundert gefunden; es geschah wie auf der Tafel stand, er ward in Stein verwandelt. Am folgenden Tag unternahm der zweite Bruder das Abenteuer: es gieng ihm aber nicht viel besser als dem ältesten, er fand nicht mehr als zweihundert Perlen, und ward zu Stein. Endlich kam auch an den Dummling die Reihe, der suchte im Moos, es war aber so schwer die Perlen zu finden und gieng so langsam. Da setzte er sich auf einen Stein und weinte. Und wie er so saß, kam der Ameisenkönig, dem er einmal das Leben erhalten hatte, mit fünftausend Ameisen, und es währte gar nicht lange, so hatten die kleinen Thiere die Perlen mit einander gefunden und auf einen Haufen getragen. Die zweite Aufgabe aber war, den Schlüssel zu der Schlafkammer der Königstochter aus der See zu holen. Wie der Dummling zur See kam, schwammen die Enten, die er einmal gerettet hatte, heran, tauchten unter, und holten den Schlüssel aus der Tiefe. Die dritte Aufgabe aber war die schwerste, aus den drei schlafenden Töchtern des Königs sollte [343] die jüngste und die liebste heraus gesucht werden. Sie glichen sich aber vollkommen, und waren durch nichts verschieden, als daß sie, bevor sie eingeschlafen waren, verschiedene Süßigkeiten gegessen hatten, die älteste ein Stück Zucker, die zweite ein wenig Syrup, die jüngste einen Löffel voll Honig. Da kam die Bienenkönigin von den Bienen, die der Dummling vor dem Feuer geschützt hatte, und versuchte den Mund von allen dreien, zuletzt blieb sie auf dem Mund sitzen, der Honig gegessen hatte, und so erkannte der Königssohn die rechte. Da war der Zauber vorbei, alles war aus dem Schlaf erlöst, und wer von Stein war, erhielt seine menschliche Gestalt wieder. Und der Dummling vermählte sich mit der jüngsten und liebsten, und ward König nach ihres Vaters Tod; seine zwei Brüder aber erhielten die beiden andern Schwestern.

Schneeweißchen und Rosenroth

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 161 – Gästin: Rebecca Görmann


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161. Schneeweißchen und Rosenroth

Eine arme Wittwe, die lebte einsam in einem Hüttchen, und vor dem Hüttchen war ein Garten, darin standen zwei Rosenbäumchen, davon trug das eine weiße, das andere rothe Rosen: und sie hatte zwei Kinder, die glichen den beiden Rosenbäumchen, und das eine hieß Schneeweißchen, das andere Rosenroth. Sie waren aber so fromm und gut, so arbeitsam und unverdrossen, als je zwei Kinder auf der Welt gewesen sind: Schneeweißchen war nur stiller und sanfter als Rosenroth. Rosenroth sprang lieber in den Wiesen und Feldern umher, suchte Blumen und fieng Sommervögel: Schneeweißchen aber saß daheim bei der Mutter, half ihr im Hauswesen, oder las ihr vor, wenn nichts zu thun war. Die beiden Kinder hatten einander so lieb, daß sie sich immer an den Händen faßten, so oft sie zusammen ausgiengen: und wenn Schneeweißchen sagte „wir wollen uns nicht verlassen,“ so antwortete Rosenroth „so lange wir leben nicht,“ und die Mutter setzte hinzu „was das eine hat solls mit dem andern theilen.“ Oft liefen sie im Walde allein umher und sammelten rothe Beeren, aber kein Thier that ihnen etwas zu leid, sondern sie kamen vertraulich herbei: das Häschen fraß ein Kohlblatt aus ihren Händen, das Reh graste an ihrer Seite, der Hirsch sprang ganz lustig vorbei und die Vögel blieben auf den Ästen sitzen und sangen was sie nur wußten. Kein Unfall traf sie: wenn sie sich im Walde verspätet hatten und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich nebeneinander auf das Moos und schliefen bis der Morgen kam, und die Mutter wußte das und hatte ihrentwegen keine [297] Sorge. Einmal, als sie im Walde übernachtet hatten und das Morgenroth sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind in einem weißen glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager sitzen. Es stand auf und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts und gieng in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie ganz nahe bei einem Abgrunde geschlafen, und wären gewis hinein gefallen, wenn sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weiter gegangen wären. Die Mutter aber sagte ihnen das müßte der Engel gewesen sein, der gute Kinder bewache.

Schneeweißchen und Rosenroth hielten das Hüttchen der Mutter so reinlich, daß es eine Freude war hinein zu schauen. Im Sommer besorgte Rosenroth das Haus und stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie aufwachte, einen Blumenstrauß vors Bett, darin war von jedem Bäumchen eine Rose. Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer an und hieng den Kessel an den Feuerhaken, und der Kessel war von Messing, glänzte aber wie Gold, so rein war er gescheuert. Abends, wenn die Flocken fielen, sagte die Mutter „geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor,“ und dann setzten sie sich an den Herd, und die Mutter nahm die Brille und las aus einem großen Buche vor, und die beiden Mädchen hörten zu, saßen und spannen; neben ihnen lag ein Lämmchen auf dem Boden, und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt.

Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand an die Thüre, als wollte er eingelassen sein. Die Mutter sprach „geschwind, Rosenroth, mach auf, es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.“ Rosenroth gieng und schob den Riegel weg und dachte es wäre ein armer Mann, aber der war es nicht, es war ein Bär, der seinen dicken schwarzen Kopf zur Thüre herein streckte. Rosenroth schrie laut und sprang zurück: das Lämmchen blöckte, das Täubchen flatterte auf und Schneeweißchen versteckte [298] sich hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fieng an zu sprechen und sagte „fürchtet euch nicht, ich thue euch nichts zu leid, ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.“ „Du armer Bär,“ sprach die Mutter, „leg dich ans Feuer, und gib nur acht daß dir dein Pelz nicht brennt.“ Dann rief sie „Schneeweißchen, Rosenroth, kommt hervor, der Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.“ Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht vor ihm. Der Bär sprach „ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk,“ und sie holten den Besen und kehrten dem Bär das Fell rein: er aber streckte sich ans Feuer und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut und trieben Muthwillen mit dem unbeholfenen Gast. Sie zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen auf seinen Rücken und walgerten ihn hin und her, oder sie nahmen eine Haselruthe und schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sichs aber gerne gefallen, nur wenn sies gar zu arg machten, rief er „laßt mich am Leben, ihr Kinder:

Schneeweißchen, Rosenroth,
schlägst dir den Freier todt.“
Als Schlafenszeit war und die andern zu Bett giengen, sagte die Mutter zu dem Bär „du kannst in Gottes Namen da am Herde liegen bleiben, so bist du vor der Kälte und dem bösen Wetter geschützt.“ Sobald der Tag graute, ließen ihn die beiden Kinder hinaus, und er trabte über den Schnee in den Wald hinein. Von nun an kam der Bär jeden Abend zu der bestimmten Stunde, legte sich an den Herd und erlaubte den Kindern Kurzweil mit ihm zu treiben, so viel sie wollten; und sie waren so gewöhnt an ihn, daß die Thüre nicht eher zugeriegelt ward, als bis der schwarze Gesell angelangt war.

[299] Als das Frühjahr herangekommen und draußen alles grün war, sagte der Bär eines Morgens zu Schneeweißchen „nun muß ich fort und darf den ganzen Sommer nicht wieder kommen.“ „Wo gehst du denn hin, lieber Bär?“ fragte Schneeweißchen. „Ich muß in den Wald und meine Schätze vor den bösen Zwergen hüten: im Winter, wenn die Erde hart gefroren ist, müssen sie wohl unten bleiben und können sich nicht durcharbeiten, aber jetzt, wenn die Sonne die Erde aufgethaut und erwärmt hat, da brechen sie durch, steigen herauf, suchen und stehlen; was einmal in ihren Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das kommt so leicht nicht wieder an des Tages Licht.“ Schneeweißchen war ganz traurig über den Abschied und als es ihm die Thüre aufriegelte, und der Bär sich hinaus drängte, blieb er an dem Thürhaken hängen und ein Stück seiner Haut riß auf, und da war es Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern gesehen: aber es war seiner Sache nicht gewis. Der Bär lief eilig fort und war bald hinter den Bäumen verschwunden.

Nach einiger Zeit schickte die Mutter die Kinder in den Wald, Reisig zu sammeln. Da fanden sie draußen einen großen Baum, der lag gefällt auf dem Boden, und an dem Stamme sprang zwischen dem Gras etwas auf und ab, sie konnten aber nicht unterscheiden was es war. Als sie näher kamen, sahen sie einen Zwerg mit einem alten verwelkten Gesicht und einem ellenlangen schneeweißen Bart. Das Ende des Bartes war in eine Spalte des Baums eingeklemmt, und der Kleine sprang hin und her wie ein Hündchen an einem Seil und wußte nicht wie er sich helfen sollte. Er glotzte die Mädchen mit seinen rothen feurigen Augen an und schrie „was steht ihr da! könnt ihr nicht herbei gehen und mir Beistand leisten?“ „Was hast du angefangen, kleines Männchen?“ fragte Rosenroth. „Dumme neugierige Gans,“ antwortete der Zwerg, „den Baum habe ich mir spalten wollen, um kleines Holz [300] in der Küche zu haben; bei den dicken Klötzen verbrennt gleich das bischen Speise, das unser einer braucht, der nicht so viel hinunter schlingt als ihr, grobes, gieriges Volk. Ich hatte den Keil schon glücklich hinein getrieben, und es wäre alles nach Wunsch gegangen, aber das verwünschte Holz war zu glatt und sprang unversehens heraus, und der Baum fuhr so geschwind zusammen, daß ich meinen schönen weißen Bart nicht mehr herausziehen konnte; nun steckt er drinn, und ich kann nicht fort. Da lachen die albernen glatten Milchgesichter! pfui, was seid ihr garstig!“ Die Kinder gaben sich alle Mühe, aber sie konnten den Bart nicht heraus ziehen, er steckte zu fest. „Ich will laufen und Leute herbei holen“ sagte Rosenroth. „Wahnsinnige Schafsköpfe,“ schnarrte der Zwerg, „wer wird gleich Leute herbeirufen, ihr seid mir schon um zwei zu viel; fällt euch nicht besseres ein?“ „Sei nur nicht ungeduldig,“ sagte Schneeweißchen, „ich will schon Rath schaffen,“ holte sein Scheerchen aus der Tasche und schnitt das Ende des Bartes ab. Sobald der Zwerg sich frei fühlte, griff er nach einem Sack, der zwischen den Wurzeln des Baums steckte und mit Gold gefüllt war, hob ihn heraus und brummte vor sich hin „ungehobeltes Volk, schneidet mir ein Stück von meinem stolzen Barte ab! lohns euch der Guckuck!“ damit schwang er seinen Sack auf den Rücken und gieng fort ohne die Kinder nur noch einmal anzusehen.

Einige Zeit danach wollten Schneeweißchen und Rosenroth ein Gericht Fische angeln. Als sie nahe bei dem Bach waren, sahen sie daß etwas wie eine große Heuschrecke nach dem Wasser zu hüpfte, als wollte es hinein springen. Sie liefen heran und erkannten den Zwerg. „Wo willst du hin?“ sagte Rosenroth, „du willst doch nicht ins Wasser?“ „Solch ein Narr bin ich nicht,“ schrie der Zwerg, „seht ihr nicht, der verwünschte Fisch will mich hinein ziehen?“ Der Kleine hatte da gesessen und geangelt, und [301] unglücklicher Weise hatte der Wind seinen Bart mit der Angelschnur verflochten: als gleich darauf ein großer Fisch anbiß, fehlten dem schwachen Geschöpf die Kräfte ihn herauszuziehen: der Fisch behielt die Oberhand und riß den Zwerg zu sich hin. Zwar hielt er sich an allen Halmen und Binsen, aber das half nicht viel, er mußte den Bewegungen des Fisches folgen, und war in beständiger Gefahr ins Wasser gezogen zu werden. Die Mädchen kamen zu rechter Zeit, hielten ihn fest und versuchten den Bart von der Schnur loszumachen, aber vergebens, Bart und Schnur waren fest in einander verwirrt. Es blieb nichts übrig als das Scheerchen hervor zu holen und den Bart abzuschneiden, wobei ein kleiner Theil desselben verloren gieng. Als der Zwerg das sah, schrie er sie an, „ist das Manier, ihr Lorche, einem das Gesicht zu schänden? nicht genug, daß ihr mir den Bart unten abgestutzt habt, jetzt schneidet ihr mir den besten Theil davon ab: ich darf mich vor den Meinigen gar nicht sehen lassen. Daß ihr laufen müßtet und die Schuhsohlen verloren hättet!“ Dann holte er einen Sack Perlen, der im Schilfe lag, und ohne ein Wort weiter zu sagen, schleppte er ihn fort und verschwand hinter einem Stein.

Es trug sich zu, daß bald hernach die Mutter die beiden Mädchen nach der Stadt schickte, Zwirn Nadeln Schnüre und Bänder einzukaufen. Der Weg führte sie über eine Heide, auf der hier und da mächtige Felsenstücke zerstreut lagen. Da sahen sie einen großen Vogel in der Luft schweben, der langsam über ihnen kreiste, sich immer tiefer herab senkte und endlich nicht weit bei einem Felsen niederstieß. Gleich darauf hörten sie einen durchdringenden, jämmerlichen Schrei. Sie liefen herzu und sahen mit Schrecken daß der Adler ihren alten Bekannten, den Zwerg, gepackt hatte und ihn forttragen wollte. Die mitleidigen Kinder hielten gleich das Männchen fest und zerrten sich so lange mit dem Adler herum, [302] bis er seine Beute fahren ließ. Als der Zwerg sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, schrie er mit seiner kreischenden Stimme „konntet ihr nicht säuberlicher mit mir umgehen? gerissen habt ihr an meinem dünnen Röckchen daß es überall zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und täppisches Gesindel, das ihr seid!“ Dann nahm er einen Sack mit Edelsteinen und schlüpfte wieder unter den Felsen in seine Höhle. Die Mädchen waren an seinen Undank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort und verrichteten ihr Geschäft in der Stadt. Als sie beim Heimweg wieder auf die Heide kamen, überraschten sie den Zwerg, der auf einem reinlichen Plätzchen seinen Sack mit Edelsteinen ausgeschüttet und nicht gedacht hatte daß so spät noch jemand daher kommen würde. Die Abendsonne schien über die glänzenden Steine, sie schimmerten und leuchteten so prächtig in allen Farben, daß die Kinder stehenblieben und sie betrachteten. „Was steht ihr da und habt Maulaffen feil!“ schrie der Zwerg, und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberroth vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ und ein schwarzer Bär aus dem Walde herbei trabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Bär war schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst „lieber Herr Bär, verschont mich, ich will euch alle meine Schätze geben, sehet, die schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmächtigen Kerl? ihr spürt mich nicht zwischen den Zähnen: da, die beiden gottlosen Mädchen packt, das sind für euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.“ Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr.

Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach „Schneeweißchen und Rosenroth, fürchtet euch nicht, wartet [303] ich will mit euch gehen.“ Da erkannten sie seine Stimme und blieben stehen, und als der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand da als ein schöner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. „Ich bin eines Königs Sohn,“ sprach er, „und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.“

Schneeweißchen ward mit ihm vermählt und Rosenroth mit seinem Bruder und sie theilten die großen Schätze mit einander, die der Zwerg in seine Höhle zusammen getragen hatte. Die alte Mutter lebte noch lange Jahre ruhig und glücklich bei ihren Kindern. Die zwei Rosenbäumchen aber nahm sie mit, und sie standen vor ihrem Fenster und trugen jedes Jahr die schönsten Rosen, weiß und roth.

Der Liebste Roland

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 56 – Gast: Jan Dotzlaw


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56.Der Liebste Roland

Es war einmal eine Frau, die war eine rechte Hexe, und hatte zwei Töchter, eine häßlich und böse, und die liebte sie, weil sie ihre rechte Tochter war, und eine schön und gut, die haßte sie, weil sie ihre Stieftochter war. Zu einer Zeit hatte die Stieftochter eine schöne Schürze, die der andern gefiel, so daß sie neidisch war und ihrer Mutter sagte sie wollte und müßte die Schürze haben. „Sei still, mein Kind,“ sprach die Alte, „du sollst sie auch haben. Deine Stiefschwester hat längst den Tod verdient, heute Nacht wenn sie schläft, so komm ich und haue ihr den Kopf ab. Sorge nur daß du hinten ins Bett zu liegen kommst, und schieb sie recht vornen hin.“ Um das arme Mädchen war es geschehen, wenn es nicht gerade in einer Ecke gestanden und alles mit angehört hätte. Es durfte den ganzen Tag nicht zur Thüre hinaus, und als Schlafenszeit gekommen war, mußte es zuerst ins Bett steigen, damit sie sich hinten hin legen konnte; als sie aber eingeschlafen war, da schob es sie sachte vornen hin und nahm den Platz hinten an der Wand. In der Nacht kam die Alte geschlichen, in der rechten Hand hielt sie eine Axt, mit der linken fühlte sie erst ob auch jemand vornen lag, und dann faßte sie die Axt mit beiden Händen, hieb und hieb ihrem eigenen Kinde den Kopf ab.

Als sie fort gegangen war, stand das Mädchen auf, und gieng zu seinem Liebsten, der Roland hieß, und klopfte an seine Thüre. Als er heraus kam, sprach sie zu ihm „höre, liebster Roland, wir müssen eilig flüchten, die Stiefmutter hat mich todtschlagen wollen, [286] hat aber ihr eigenes Kind getroffen. Kommt der Tag, und sie sieht was sie gethan hat, so sind wir verloren.“ „Aber ich rathe dir,“ sagte Roland, „daß du erst ihren Zauberstab wegnimmst, sonst können wir uns nicht retten, wenn sie uns nachsetzt und verfolgt.“ Das Mädchen holte den Zauberstab, und dann nahm es den todten Kopf und tröpfelte drei Blutstropfen auf die Erde, einen vors Bett, einen in die Küche, und einen auf die Treppe. Darauf eilte es mit seinem Liebsten fort.

Als nun am Morgen die alte Hexe aufgestanden war, rief sie ihrer Tochter, und wollte ihr die Schürze geben, aber sie kam nicht. Da rief sie „wo bist du?“ „Ei, hier auf der Treppe, da kehr ich,“ antwortete der eine Blutstropfen. Die Alte gieng hinaus, sah aber niemand auf der Treppe und rief abermals „wo bist du?“ „Ei, hier in der Küche, da wärm ich mich“ rief der zweite Blutstropfen. Sie gieng in die Küche, aber sie fand niemand. Da rief sie noch einmal „wo bist du?“ „Ach, hier im Bette, da schlaf ich“ rief der dritte Blutstropfen. Sie gieng in die Kammer ans Bett. Was sah sie da? ihr eigenes Kind, das in seinem Blute schwamm, und dem sie selbst den Kopf abgehauen hatte.

Die Hexe gerieth in Wuth, sprang ans Fenster, und da sie weit in die Welt schauen konnte, erblickte sie ihre Stieftochter, die mit ihrem Liebsten Roland fort eilte. „Das soll euch nichts helfen,“ rief sie, „wenn ihr auch schon weit weg seid, ihr entflieht mir doch nicht.“ Sie zog ihre Meilenstiefeln an, in welchem sie mit jedem Schritt eine Stunde machte, und es dauerte nicht lange, so hatte sie beide eingeholt. Das Mädchen aber, wie es die Alte daher schreiten sah, verwandelte mit dem Zauberstab seinen Liebsten Roland in einen See, sich selbst aber in eine Ente, die mitten auf dem See schwamm. Die Hexe stellte sich ans Ufer, warf Brotbrocken hinein und gab sich alle Mühe die Ente herbeizulocken: aber die Ente ließ sich nicht locken, und die Alte mußte Abends [287] unverrichteter Sache wieder umkehren. Darauf nahm das Mädchen mit seinem Liebsten Roland wieder die natürliche Gestalt an, und sie giengen die ganze Nacht weiter bis zu Tagesanbruch. Da verwandelte sich das Mädchen in eine schöne Blume, die mitten in einer Dornhecke stand, seinen Liebsten Roland aber in einen Geigenspieler. Nicht lange, so kam die Hexe herangeschritten und sprach zu dem Spielmann „lieber Spielmann, darf ich mir wohl die schöne Blume abbrechen?“ „O ja,“ antwortete er, „ich will dazu aufspielen.“ Als sie nun mit Hast in die Hecke kroch und die Blume brechen wollte, denn sie wußte wohl wer die Blume war, so fieng er an aufzuspielen, und, sie mochte wollen oder nicht, sie mußte tanzen, denn es war ein Zaubertanz. Je schneller er spielte, desto gewaltigere Sprünge mußte sie machen, und die Dornen rissen ihr die Kleider vom Leibe, stachen sie blutig und wund, und da er nicht aufhörte, mußte sie so lange tanzen bis sie todt liegen blieb.

Als sie nun erlöst waren, sprach Roland „nun will ich zu meinem Vater gehen und die Hochzeit bestellen.“ „So will ich derweil hier bleiben,“ sagte das Mädchen, „und auf dich warten, und damit mich niemand erkennt, will ich mich in einen rothen Feldstein verwandeln.“ Da gieng Roland fort, und das Mädchen stand als ein rother Stein auf dem Felde und wartete auf seinen Liebsten. Als aber Roland heim kam, gerieth er in die Fallstricke einer andern, die es dahin brachte, daß er das Mädchen vergaß. Das arme Mädchen stand lange Zeit, als er aber endlich gar nicht wieder kam, so ward es traurig und verwandelte sich in eine Blume und dachte „es wird ja wohl einer daher gehen und mich umtreten.“

Es trug sich aber zu, daß ein Schäfer auf dem Felde seine Schafe hütete und die Blume sah, und weil sie so schön war, so brach er sie ab, nahm sie mit sich, und legte sie in seinen Kasten. [288] Von der Zeit gieng es wunderlich in des Schäfers Hause zu. Wenn er Morgens aufstand, so war schon alle Arbeit gethan: die Stube war gekehrt, Tisch und Bänke abgeputzt, Feuer auf den Herd gemacht, und Wasser getragen; und Mittags, wenn er heim kam, war der Tisch gedeckt und ein gutes Essen aufgetragen. Er konnte nicht begreifen wie das zugieng, denn er sah niemals einen Menschen in seinem Haus, und es konnte sich auch niemand in der kleinen Hütte versteckt haben. Die gute Aufwartung gefiel ihm freilich, aber zuletzt ward ihm doch angst, so daß er zu einer weisen Frau gieng und sie um Rath fragte. Die weise Frau sprach „es steckt Zauberei dahinter; gib einmal Morgens in aller Frühe acht ob sich etwas in der Stube regt, und wenn du etwas siehst, es mag sein was es will, so wirf schnell ein weißes Tuch darüber, dann wird der Zauber gehemmt.“ Der Schäfer that wie sie gesagt hatte, und am andern Morgen, eben als der Tag anbrach, sah er wie sich der Kasten aufthat und die Blume heraus kam. Schnell sprang er hinzu und warf ein weißes Tuch darüber. Alsbald war die Verwandlung vorbei, und ein schönes Mädchen stand vor ihm, das bekannte ihm daß es die Blume gewesen wäre und seinen Haushalt bisher besorgt hätte. Es erzählte ihm sein Schicksal, und weil es ihm gefiel, fragte er ob es ihn heirathen wollte, aber es antwortete „nein,“ denn es wollte seinem Liebsten Roland, obgleich er es verlassen hatte, doch treu bleiben: aber es versprach daß es nicht weggehen, sondern ihm fernerhin Haus halten wollte.

Nun kam die Zeit heran daß Roland Hochzeit halten sollte: da ward nach altem Brauch im Lande bekannt gemacht daß alle Mädchen sich einfinden und zu Ehren des Brautpaars singen sollten. Das treue Mädchen, als es davon hörte, ward so traurig daß es meinte das Herz im Leib würde ihm zerspringen, und wollte nicht hingehen, aber die andern kamen und holten es herbei. Wenn aber die Reihe kam daß es singen sollte, so trat es zurück, [289] bis es allein noch übrig war, da konnte es nicht anders. Aber wie es seinen Gesang anfieng, und er zu Rolands Ohren kam, so sprang er auf, und rief „die Stimme kenne ich, das ist die rechte Braut, eine andere begehr ich nicht.“ Alles, was er vergessen hatte und ihm aus dem Sinn verschwunden war, das war plötzlich in sein Herz wieder heim gekommen. Da hielt das treue Mädchen Hochzeit mit seinem Liebsten Roland, und war sein Leid zu Ende und fieng seine Freude an.

Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 54 – Gast: Jonas Mahr


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Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein.

Es waren einmal drei Brüder, die waren immer tiefer in Armuth gerathen, und endlich war die Noth so groß, daß sie Hunger leiden mußten und nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten. Da sprachen sie „es kann so nicht bleiben: es ist besser wir gehen in die Welt und suchen unser Glück.“ Sie machten sich also auf, und waren schon weite Wege und über viele Grashälmerchen gegangen, aber das Glück war ihnen noch nicht begegnet. Da gelangten sie eines Tags in einen großen Wald, und mitten darin war ein Berg, und als sie näher kamen, so sahen sie daß der Berg ganz von Silber war. Da sprach der älteste „nun habe ich das gewünschte Glück gefunden und verlange kein größeres.“ Er nahm von dem Silber so viel er nur tragen konnte, kehrte dann um und gieng wieder nach Haus. Die beiden andern aber sprachen „wir verlangen vom Glück noch etwas mehr als bloßes Silber,“ rührten es nicht an und giengen weiter. Nachdem sie abermals ein paar Tage gegangen waren, so kamen sie zu einem Berg, der ganz von Gold war. Der zweite Bruder stand, besann sich und war ungewiß. „Was soll ich thun?“ sprach er, „soll ich mir von dem Golde so viel nehmen, daß ich mein Lebtag genug habe, oder soll ich weiter gehen?“ Endlich faßte er einen Entschluß, füllte in seine Taschen was hinein wollte, sagte seinem Bruder Lebewohl und gieng heim. Der dritte aber sprach „Silber und Gold das rührt mich nicht: ich will meinem Glück nicht absagen, vielleicht ist mir etwas besseres beschert.“ Er zog weiter, und als er drei [275] Tage gegangen war, so kam er in einen Wald, der noch größer war als die vorigen und gar kein Ende nehmen wollte; und da er nichts zu essen und zu trinken fand, so war er nahe daran zu verschmachten. Da stieg er auf einen hohen Baum, ob er da oben Waldes Ende sehen möchte, aber so weit sein Auge reichte sah er nichts als die Gipfel der Bäume. Da begab er sich von dem Baume wieder herunter zu steigen, aber der Hunger quälte ihn, und er dachte „wenn ich nur noch einmal meinen Leib ersättigen könnte.“ Als er herab kam, sah er mit Erstaunen unter dem Baum einen Tisch, der mit Speisen reichlich besetzt war, die ihm entgegen dampften. „Diesmal,“ sprach er, „ist mein Wunsch zu rechter Zeit erfüllt worden,“ und ohne zu fragen wer das Essen gebracht und wer es gekocht hätte, nahte er sich dem Tisch und aß mit Lust bis er seinen Hunger gestillt hatte. Als er fertig war, dachte er „es wäre doch Schade wenn das feine Tischtüchlein hier in dem Walde verderben sollte,“ legte es säuberlich zusammen und steckte es ein. Darauf gieng er weiter, und Abends, als der Hunger sich wieder regte, wollte er sein Tüchlein auf die Probe stellen, breitete es aus und sagte „so wünsche ich daß du abermals mit guten Speisen besetzt wärest,“ und kaum war der Wunsch über seine Lippen gekommen, so standen so viel Schüsseln mit dem schönsten Essen darauf, als nur Platz hatten. „Jetzt merke ich,“ sagte er, „in welcher Küche für mich gekocht wird; du sollst mir lieber sein als der Berg von Silber und Gold,“ denn er sah wohl daß es ein Tüchleindeckdich war. Das Tüchlein war ihm aber doch nicht genug, um sich daheim zur Ruhe zu setzen, sondern er wollte lieber noch in der Welt herum wandern und weiter sein Glück versuchen. Eines Abends traf er in einem einsamen Walde einen schwarz bestaubten Köhler, der brannte da Kohlen, und hatte Kartoffeln am Feuer stehen, damit wollte er seine Mahlzeit halten. „Guten Abend, du Schwarzamsel,“ sagte er, „wie geht dirs in [276] deiner Einsamkeit?“ „Einen Tag wie den andern,“ erwiederte der Köhler, „und jeden Abend Kartoffeln; hast du Lust dazu und willst mein Gast sein?“ „Schönen Dank,“ antwortete der Reisende, „ich will dir die Mahlzeit nicht wegnehmen, du hast auf einen Gast nicht gerechnet, aber wenn du mit mir vorlieb nehmen willst, so sollst du eingeladen sein.“ „Wer soll dir anrichten?“ sprach der Köhler, „ich sehe daß du nichts bei dir hast, und ein paar Stunden im Umkreis ist niemand, der dir etwas geben könnte.“ „Und doch solls ein Essen sein,“ antwortete er, „so gut, wie du noch keins gekostet hast.“ Darauf holte er sein Tüchlein aus dem Ranzen, breitete es auf die Erde, und sprach „Tüchlein, deck dich,“ und alsbald stand da Gesottenes und Gebratenes, und war so warm als wenn es eben aus der Küche käme. Der Köhler machte große Augen, ließ sich aber nicht lange bitten, sondern langte zu und schob immer größere Bissen in sein schwarzes Maul hinein. Als sie abgegessen hatten, schmunzelte der Köhler und sagte „hör, dein Tüchlein hat meinen Beifall, das wäre so etwas für mich in dem Walde, wo mir niemand etwas gutes kocht. Ich will dir einen Tausch vorschlagen, da in der Ecke hängt ein Soldatenranzen, der zwar alt und unscheinbar ist, in dem aber wunderbare Kräfte stecken; da ich ihn doch nicht mehr brauche, so will ich ihn für das Tüchlein geben.“ „Erst muß ich wissen was das für wunderbare Kräfte sind,“ erwiederte er. „Das will ich dir sagen,“ antwortete der Köhler, „wenn du mit der Hand darauf klopfst, so kommt jedesmal ein Gefreiter mit sechs Mann, die haben Ober- und Untergewehr, und was du befiehlst, das vollbringen sie.“ „Meinetwegen,“ sagte er „wenns nicht anders sein kann, so wollen wir tauschen,“ gab dem Köhler das Tüchlein, hob den Ranzen von dem Haken, hieng ihn um und nahm Abschied. Als er ein Stück Wegs gegangen war, wollte er die Wunderkräfte seines Ranzens versuchen und klopfte darauf. Alsbald traten die sieben Kriegshelden [277] vor ihn, und der Gefreite sprach „was verlangt mein Herr und Gebieter?“ „Marschiert im Eilschritt zu dem Köhler und fordert mein Wünschtüchlein zurück.“ Sie machten links um, und gar nicht lange, so brachten sie das Verlangte und hatten es dem Köhler, ohne viel zu fragen, abgenommen. Er hieß sie wieder abziehen, gieng weiter und hoffte das Glück würde ihm noch heller scheinen. Bei Sonnenuntergang kam er zu einem andern Köhler, der bei dem Feuer seine Abendmahlzeit bereitete. „Willst du mit mir essen,“ sagte der rußige Geselle, „Kartoffeln mit Salz aber ohne Schmalz, so setz dich zu mir nieder.“ „Nein,“ antwortete er, „für diesmal sollst du mein Gast sein,“ deckte sein Tüchlein auf, das gleich mit den schönsten Gerichten besetzt war. Sie aßen und tranken zusammen und waren guter Dinge. Nach dem Essen sprach der Kohlenbrenner „da oben auf der Kammbank liegt ein altes abgegriffenes Hütlein, das hat seltsame Eigenschaften: wenn das einer aufsetzt und dreht es auf dem Kopf herum, so gehen die Feldschlangen, als wären zwölfe neben einander aufgeführt, und schießen alles darnieder, daß niemand dagegen bestehen kann. Mir nützt das Hütlein nichts und für dein Tischtuch will ichs wohl hingeben.“ „Das läßt sich hören,“ antwortete er, nahm das Hütlein, setzte es auf und ließ sein Tüchlein zurück. Kaum aber war er ein Stück Wegs gegangen, so klopfte er auf seinen Ranzen, und seine Soldaten mußten ihm das Tüchlein wieder holen. „Es kommt eins zum andern,“ dachte er, „und es ist mir, als wäre mein Glück noch nicht zu Ende.“ Seine Gedanken hatten ihn auch nicht betrogen. Nachdem er abermals einen Tag gegangen war, kam er zu einem dritten Köhler, der ihn nicht anders als die vorigen zu ungeschmelzten Kartoffeln einlud. Er ließ ihn aber von seinem Wunschtüchlein mitessen, und das schmeckte dem Köhler so gut, daß er ihm zuletzt ein Hörnlein dafür bot, das noch ganz andere Eigenschaften hatte als das Hütlein. Wenn man darauf [278] blies, so fielen alle Mauern und Festungswerke, endlich alle Städte und Dörfer übern Haufen. Er gab dem Köhler zwar das Tüchlein dafür, ließ sichs aber hernach von seiner Mannschaft wieder abfordern, so daß er endlich Ranzen, Hütlein und Hörnlein beisammen hatte. „Jetzt,“ sprach er, „bin ich ein gemachter Mann, und es ist Zeit, daß ich heimkehre und sehe wie es meinen Brüdern ergeht.“

Als er daheim anlangte, hatten sich seine Brüder von ihrem Silber und Gold ein schönes Haus gebaut und lebten in Saus und Braus. Er trat bei ihnen ein, weil er aber in einem halb zerrissenen Rock kam, das schäbige Hütlein auf dem Kopf und den alten Ranzen auf dem Rücken, so wollten sie ihn nicht für ihren Bruder anerkennen. Sie spotteten und sagten „du gibst dich für unsern Bruder aus, der Silber und Gold verschmähte, und für sich ein besseres Glück verlangte: der kommt gewiß in voller Pracht als ein mächtiger König angefahren, nicht als ein Bettelmann,“ und jagten ihn zur Thüre hinaus. Da gerieth er in Zorn, klopfte auf seinen Ranzen so lange bis hundert und funfzig Mann in Reih und Glied vor ihm standen. Er befahl ihnen das Haus seiner Brüder zu umzingeln, und zwei sollten Haselgerten mitnehmen und den beiden übermüthigen die Haut auf dem Leib so lange weich gerben, bis sie wüßten wer er wäre. Es entstand ein gewaltiger Lärm, die Leute liefen zusammen und wollten den beiden in der Noth Beistand leisten, aber sie konnten gegen die Soldaten nichts ausrichten. Es geschah endlich dem Könige Meldung davon der ward unwillig, und ließ einen Hauptmann mit seiner Schaar ausrücken, der sollte den Ruhestörer aus der Stadt jagen: aber der Mann mit dem Ranzen hatte bald eine größere Mannschaft zusammen, die schlug den Hauptmann mit seinen Leuten zurück, daß sie mit blutigen Nasen abziehen mußten. Der König sprach „der hergelaufene Kerl ist noch zu bändigen,“ und schickte am andern [279] Tage eine größere Schaar gegen ihn aus, aber sie konnte noch weniger ausrichten. Er stellte noch mehr Volk entgegen, und um noch schneller fertig zu werden, drehte er ein paarmal sein Hütlein auf dem Kopfe herum: da fieng das schwere Geschütz an zu spielen, und des Königs Leute wurden geschlagen und in die Flucht gejagt. „Jetzt mache ich nicht eher Frieden,“ sprach er, „als bis mir der König seine Tochter zur Frau gibt, und ich in seinem Namen das ganze Reich beherrsche.“ Das ließ er dem König verkündigen, und dieser sprach zu seiner Tochter „Muß ist eine harte Nuß: was bleibt mir anders übrig, als daß ich thue was er verlangt? will ich Frieden haben und die Krone auf meinem Haupte behalten, so muß ich dich hingeben.“

Die Hochzeit ward also gefeiert, aber die Königstochter war verdrießlich daß ihr Gemahl ein gemeiner Mann war, der einen schäbigen Hut trug und einen alten Ranzen umhängen hatte. Sie wäre ihn gerne wieder los gewesen und sann Tag und Nacht wie sie das bewerkstelligen könnte. Da dachte sie „sollten seine Wunderkräfte wohl in dem Ranzen stecken?“ verstellte sich und liebkoste ihm, und als sein Herz weich geworden war, sprach sie „wenn du nur den schlechten Ranzen ablegen wolltest, er verunziert dich so sehr, daß ich mich deiner schämen muß.“ „Liebes Kind,“ antwortete er, „dieser Ranzen ist mein größter Schatz, so lange ich den habe, fürchte ich keine Macht der Welt;“ und verrieth ihr mit welchen Wunderkräften er begabt war. Da fiel sie ihm um den Hals, als wenn sie ihn küssen wollte, nahm ihm aber mit Behendigkeit den Ranzen von der Schulter und lief damit fort. Sobald sie allein war, klopfte sie darauf und befahl den Kriegsleuten sie sollten ihren vorigen Herrn festnehmen und aus dem königlichen Palast fortführen. Sie gehorchten, und die falsche Frau ließ noch mehr Leute hinter ihm her ziehen, die ihn ganz zum Lande hinaus jagen sollten. Da wäre er verloren gewesen, wenn er nicht [280] das Hütlein gehabt hätte. Kaum aber waren seine Hände frei, so schwenkte er es ein paar mal: alsbald fieng das Geschütz an zu donnern und schlug alles nieder, und die Königstochter mußte selbst kommen und um Gnade bitten. Weil sie so beweglich bat und sich zu bessern versprach, so ließ er sich überreden und bewilligte ihr Frieden. Sie that freundlich mit ihm, stellte sich an als hätte sie ihn sehr lieb und wußte ihn nach einiger Zeit so zu bethören daß er ihr vertraute wenn auch einer den Ranzen in seine Gewalt bekäme, so könnte er doch nichts gegen ihn ausrichten so lange das alte Hütlein noch sein wäre. Als sie das Geheimnis wußte, wartete sie bis er eingeschlafen war, dann nahm sie ihm das Hütlein weg, und ließ ihn hinaus auf die Straße werfen. Aber noch war ihm das Hörnlein übrig, und in großem Zorne blies er aus allen Kräften hinein. Alsbald fiel alles zusammen, Mauern, Festungswerk, Städte und Dörfer, und schlugen den König und die Königstochter todt. Und wenn er das Hörnlein nicht abgesetzt und nur noch ein wenig länger geblasen hätte, so wäre alles über den Haufen gestürzt und kein Stein auf dem andern geblieben. Da widerstand ihm niemand mehr, und er setzte sich zum König über das ganze Reich.

König Drosselbart

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 52 – Gästin: Kati Fränzel


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52.
König Drosselbart

Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen schön, aber dabei so stolz und übermüthig, daß ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab, und trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen, und ladete dazu aus der Nähe und Ferne die heirathslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet; erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute. Nun ward die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick, „das Weinfaß!“ sprach sie. Der andere zu lang, „lang und schwank hat keinen Gang.“ Der dritte zu kurz, „kurz und dick hat kein Geschick.“ Der vierte zu blaß, „der bleiche Tod!“ der fünfte zu roth, „der Zinshahn!“ der sechste war nicht gerad genug, „grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!“ Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand, und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. „Ei,“ rief sie und lachte, „der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel;“ und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart. Der alte König aber, als er sah daß seine Tochter nichts that als über die Leute spotten, und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Thüre käme.

Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er „laßt ihn herauf kommen.“ Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen verlumpten Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter, und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach „dein Gesang hat mir so wohl gefallen, daß ich dir meine Tochter da zur Frau geben will.“ Die Königstochter erschrack, aber der König sagte „ich habe den Eid gethan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben, den will ich auch halten.“ Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie mußte sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König, „nun schickt sichs nicht, daß du als ein Bettelweib noch länger in meinem Schloß bleibst, du kannst nur mit deinem Manne fortziehen.“

Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie mußte mit ihm zu Fuß fort gehen. Als sie in einen großen Wald kamen, da fragte sie

„ach, wem gehört der schöne Wald?“
„Der gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär er dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“
Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder

„wem gehört die schöne grüne Wiese?“
„Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär sie dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“
[260] Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder

„wem gehört diese schöne große Stadt?“
„Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär sie dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“
„Es gefällt mir gar nicht,“ sprach der Spielmann, „daß du dir immer einen andern zum Mann wünschest: bin ich dir nicht gut genug?“ Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie

„ach, Gott, was ist das Haus so klein!
wem mag das elende winzige Häuschen sein?“
Der Spielmann antwortete „das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.“ Sie mußte sich bücken, damit sie zu der niedrigen Thür hinein kam. „Wo sind die Diener?“ sprach die Königstochter. „Was Diener!“ antwortete der Bettelmann, „du mußt selber thun was du willst gethan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, daß du mir mein Essen kochst; ich bin ganz müde.“ Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen, daß es noch so leidlich gieng. Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett: aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht, und zehrten ihren Vorrath auf. Da sprach der Mann „Frau, so gehts nicht länger, daß wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten.“ Er gieng aus, schnitt Weiden, und brachte sie heim: da fieng sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. „Ich sehe das geht nicht,“ sprach der Mann, „spinn lieber, vielleicht kannst du das besser.“ Sie setzte sich hin, und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunter lief. „Siehst [261] du,“ sprach der Mann, „du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ichs versuchen, und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen: du sollst dich auf den Markt setzen, und die Waare feil halten.“ „Ach,“ dachte sie, „wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen, und sehen mich da sitzen und feil halten, wie werden sie mich verspotten!“ Aber es half nichts, sie mußte sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Das erstemal gings gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gern ihre Waare ab, und bezahlten was sie forderte: ja, viele gaben ihr das Geld, und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem erworbenen so lang es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein. Sie setzte sich damit an eine Ecke des Marktes, und stellte es um sich her, und hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar daher gejagt, und ritt gerade zu in die Töpfe hinein, daß alles in tausend Scherben zersprang. Sie fieng an zu weinen und wußte vor Angst nicht was sie anfangen sollte. „Ach, wie wird mirs ergehen!“ rief sie, „was wird mein Mann dazu sagen!“ Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. „Wer setzt sich auch an die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr!“ sprach der Mann, „laß nur das Weinen, ich sehe wohl du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in unseres Königs Schloß gewesen und habe gefragt ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir versprochen sie wollten dich dazu nehmen; dafür bekommst du freies Essen.“

Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, mußte dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit thun. Sie machte sich in beiden Taschen ein Töpfchen fest, darin brachte sie nach Haus was ihr von dem übrig gebliebenen zu Theil ward, und davon nährten sie sich. Es trug sich zu, daß die Hochzeit des ältesten Königssohnes sollte gefeiert werden, da gieng die arme [262] Frau hinauf, stellte sich vor die Saalthüre und wollte zusehen. Als nun die Lichter angezündet waren, und immer einer schöner als der andere hereintrat, und alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem Herzen an ihr Schicksal, und verwünschte ihren Stolz und Übermuth, der sie erniedrigt und in so große Armuth gestürzt hatte. Von den köstlichen Speisen, die da ein und ausgetragen wurden, und von welchen der Geruch zu ihr aufstieg, warfen ihr Diener manchmal ein paar Brocken zu, die that sie in ihr Töpfchen, und wollte es heim tragen. Auf einmal trat der Königssohn herein, war in Sammt und Seide gekleidet und hatte goldene Ketten um den Hals. Und als er die schöne Frau in der Thüre stehen sah, ergriff er sie bei der Hand, und wollte mit ihr tanzen, aber sie weigerte sich und erschrack, denn sie sah daß es der König Drosselbart war, der um sie gefreit und den sie mit Spott abgewiesen hatte. Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal: da zerriß das Band, an welchem die Taschen hiengen, und die Töpfe fielen heraus, daß die Suppe floß und die Brocken umher sprangen. Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten, und sie war so beschämt, daß sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde gewünscht hätte. Sie sprang zur Thüre hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein, und brachte sie zurück: und wie sie ihn ansah, war es wieder der König Drosselbart. Er sprach ihr freundlich zu, „fürchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind eins: dir zu Liebe habe ich mich so verstellt, und der Husar, der dir die Töpfe entzwei geritten hat, bin ich auch gewesen. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen, und dich für deinen Hochmuth zu strafen, womit du mich verspottet hast.“ Da weinte sie bitterlich und sagte „ich habe großes Unrecht gehabt und bin nicht werth deine Frau zu sein.“ Er aber sprach „tröste dich, die bösen Tage sind vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern.“ Da kamen die Kammerfrauen und thaten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof, und wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart, und die rechte Freude fieng jetzt erst an. Ich wollte, du und ich, wir wären auch dabei gewesen.

Fundevogel

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 51 – Gast: Stefan Baumann


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51.
Fundevogel.

Es war einmal ein Förster, der gieng in den Wald auf die Jagd, und wie er in den Wald kam, hörte er schreien, als obs ein kleines Kind wäre. Er gieng dem Schreien nach und kam endlich zu einem hohen Baum, und oben darauf saß ein kleines Kind. Es war aber die Mutter mit dem Kinde unter dem Baum eingeschlafen, und ein Raubvogel hatte das Kind in ihrem Schooße gesehen: da war er hinzu geflogen, hatte es mit seinem Schnabel weggenommen und auf den hohen Baum gesetzt.

Der Förster stieg hinauf, holte das Kind herunter und dachte „du willst das Kind mit nach Haus nehmen und mit deinem Lenchen zusammen aufziehn.“ Er brachte es also heim, und die zwei Kinder wuchsen mit einander auf. Das aber, das auf dem Baum gefunden worden war, und weil es ein Vogel weggetragen hatte, wurde Fundevogel geheißen. Fundevogel und Lenchen hatten sich so lieb, nein so lieb, daß wenn eins das andere nicht sah, ward es traurig.

Der Förster hatte aber eine alte Köchin, die nahm eines Abends zwei Eimer und fieng an Wasser zu schleppen, und gieng nicht einmal sondern vielemal hinaus an den Brunnen. Lenchen sah es und sprach „hör einmal, alte Sanne, was trägst du denn so viel Wasser zu?“ „Wenn dus keinem Menschen wieder sagen willst, so will ich dirs wohl sagen.“ Da sagte Lenchen nein, sie wollte es keinem Menschen wiedersagen, so sprach die Köchin „morgen früh, wenn der Förster auf die Jagd ist, da koche ich das Wasser, und [256] wenns im Kessel siedet, werfe ich den Fundevogel nein, und will ihn darin kochen.“

Des andern Morgens in aller Frühe stieg der Förster auf und gieng auf die Jagd, und als er weg war, lagen die Kinder noch im Bett. Da sprach Lenchen zum Fundevogel „verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht:“ so sprach der Fundevogel „nun und nimmermehr.“ Da sprach Lenchen „ich will es dir nur sagen, die alte Sanne schleppte gestern Abend so viel Eimer Wasser ins Haus, da fragte ich sie warum sie das thäte, so sagte sie, wenn ichs keinem Menschen sagen wollte, so wollte sie es mir wohl sagen: sprach ich, ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen: da sagte sie, morgen früh, wenn der Vater auf die Jagd wäre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden, dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufsteigen, uns anziehen und zusammen fortgehen.“

Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und giengen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, gieng die Köchin in die Schlafkammer, wollte den Fundevogel holen und ihn hinein werfen. Aber, als sie hinein kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort: da wurde ihr grausam angst, und sie sprach vor sich „was will ich nun sagen, wenn der Förster heim kommt und sieht daß die Kinder weg sind? Geschwind hinten nach, daß wir sie wieder kriegen.“

Da schickte die Köchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einlangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lenchen zum Fundevogel „verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht.“ So sprach Fundevogel „nun und nimmermehr.“ Da sagte Lenchen „werde du zum Rosenstöckchen, und ich zum Röschen darauf.“ Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da als ein Rosenstrauch und ein Röschen oben drauf, [257] die Kinder aber nirgend. Da sprachen sie „hier ist nichts zu machen,“ und giengen heim und sagten der Köchin sie hätten nichts in der Welt gesehen als nur ein Rosenstöckchen und ein Röschen oben darauf. Da schalt die alte Köchin, „ihr Einfaltspinsel, ihr hättet das Rosenstöckchen sollen entzwei schneiden und das Röschen abbrechen und mit nach Haus bringen, geschwind und thuts.“ Sie mußten also zum zweitenmal hinaus und suchen. Die Kinder sahen sie aber von weitem kommen, da sprach Lenchen „Fundevogel, verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht.“ Fundevogel sagte „nun und nimmermehr.“ Sprach Lenchen „so werde du eine Kirche und ich die Krone darin.“ Wie nun die drei Knechte dahin kamen, war nichts da als eine Kirche und eine Krone darin. Sie sprachen also zu einander „was sollen wir hier machen, laßt uns nach Hause gehen.“ Wie sie nach Haus kamen, fragte die Köchin ob sie nichts gefunden hätten: so sagten sie nein, sie hätten nichts gefunden als eine Kirche, da wäre eine Krone darin gewesen. „Ihr Narren,“ schalt die Köchin, „warum habt ihr nicht die Kirche zerbrochen und die Krone mit heim gebracht?“ Nun machte sich die alte Köchin selbst auf die Beine und gieng mit den drei Knechten den Kindern nach. Die Kinder sahen aber die drei Knechte von weitem kommen, und die Köchin wackelte hinten nach. Da sprach Lenchen „Fundevogel, verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht.“ Da sprach der Fundevogel „nun und nimmermehr.“ Sprach Lenchen „werde zum Teich und ich die Ente drauf.“ Die Köchin aber kam herzu, und als sie den Teich sahe, legte sie sich drüber hin und wollte ihn aussaufen. Aber die Ente kam schnell geschwommen, faßte sie mit ihrem Schnabel beim Kopf und zog sie ins Wasser hinein: da mußte die alte Hexe ertrinken. Da giengen die Kinder zusammen nach Haus und waren herzlich froh; und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.

Dornröschen

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 50 – Gast: Stefan Baumann


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50. Dornröschen.

Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag „ach, wenn wir doch ein Kind hätten!“ und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, daß ein Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach, „dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen.“ Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, daß der König vor Freude sich nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er ladete nicht blos seine Verwandte, Freunde und Bekannte, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so mußte eine von ihnen daheim bleiben. Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert, und als es zu Ende war, beschenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichthum, und so mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Als elfe ihre Sprüche eben gethan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen daß sie nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüßen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme „die Königstochter soll sich in ihrem funfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und todt hinfallen.“ Und ohne ein Wort weiter zu sprechen kehrte sie sich um und verließ den Saal. Alle waren erschrocken, da trat die zwölfte hervor, die [252] ihren Wunsch noch übrig hatte und weil sie den bösen Spruch nicht aufheben, sondern nur ihn mildern konnte, so sagte sie „es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen die Königstochter fällt.“

Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren wollte, ließ den Befehl ausgehen, daß alle Spindeln im ganzen Königreiche sollten verbrannt werden. An dem Mädchen aber wurden die Gaben der weisen Frauen sämmtlich erfüllt, denn es war so schön, sittsam, freundlich und verständig, daß es jedermann, der es ansah, lieb haben mußte. Es geschah, daß an dem Tage, wo es gerade funfzehn Jahr alt ward, der König und die Königin nicht zu Haus waren, und das Mädchen ganz allein im Schloß zurückblieb. Da gieng es aller Orten herum, besah Stuben und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich auch an einen alten Thurm. Es stieg die enge Wendeltreppe hinauf, und gelangte zu einer kleinen Thüre. In dem Schloß steckte ein verrosteter Schlüssel, und als es umdrehte, sprang die Thüre auf, und saß da in einem kleinen Stübchen eine alte Frau mit einer Spindel und spann emsig ihren Flachs. „Guten Tag, du altes Mütterchen,“ sprach die Königstochter, „was machst du da?“ „Ich spinne,“ sagte die Alte und nickte mit dem Kopf. „Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?“ sprach das Mädchen, nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie aber die Spindel angerührt, so gieng der Zauberspruch in Erfüllung, und sie stach sich damit in den Finger.

In dem Augenblick aber, wo sie den Stich empfand, fiel sie auf das Bett nieder, das da stand, und lag in einem tiefen Schlaf. Und dieser Schlaf verbreitete sich über das ganze Schloß: der König und die Königin, die eben heim gekommen waren und in den Saal getreten waren, fiengen an einzuschlafen, und der ganze Hofstaat mit ihnen. Da schliefen auch die Pferde im Stall, die [253] Hunde im Hofe, die Tauben auf dem Dache, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Herde flackerte, ward still und schlief ein, und der Braten hörte auf zu brutzeln, und der Koch, der den Küchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief. Und der Wind legte sich, und auf den Bäumen vor dem Schloß regte sich kein Blättchen mehr.

Rings um das Schloß aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr höher ward, und endlich das ganze Schloß umzog, und darüber hinaus wuchs, daß gar nichts mehr davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne auf dem Dach. Es gieng aber die Sage in dem Land von dem schönen schlafenden Dornröschen, denn so ward die Königstochter genannt, also daß von Zeit zu Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Dornen, als hätten sie Hände, hielten fest zusammen, und die Jünglinge blieben darin hängen, konnten sich nicht wieder los machen und starben eines jämmerlichen Todes. Nach langen langen Jahren kam wieder einmal ein Königssohn in das Land, und hörte wie ein alter Mann von der Dornhecke erzählte, es sollte ein Schloß dahinter stehen, in welchem eine wunderschöne Königstochter, Dornröschen genannt, schon seit hundert Jahren schliefe, und mit ihr schliefe der König und die Königin und der ganze Hofstaat. Er wußte auch von seinem Großvater daß schon viele Königssöhne gekommen wären und versucht hätten durch die Dornenhecke zu dringen, aber sie wären darin hängen geblieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der Jüngling „ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und das schöne Dornröschen sehen.“ Der gute Alte mochte ihm abrathen, wie er wollte, er hörte nicht auf seine Worte.

Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen, und [254] der Tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen sollte. Als der Königssohn sich der Dornenhecke näherte, waren es lauter große schöne Blumen, die thaten sich von selbst auseinander und ließen ihn unbeschädigt hindurch, und hinter ihm thaten sie sich wieder als eine Hecke zusammen. Im Schloßhof sah er die Pferde und scheckigen Jagdhunde liegen und schlafen, auf dem Dache saßen die Tauben und hatten das Köpfchen unter den Flügel gesteckt. Und als er ins Haus kam, schliefen die Fliegen an der Wand, der Koch in der Küche hielt noch die Hand, als wollte er den Jungen anpacken, und die Magd saß vor dem schwarzen Huhn, das sollte gerupft werden. Da gieng er weiter, und sah im Saale den ganzen Hofstaat liegen und schlafen, und oben bei dem Throne lag der König und die Königin. Da gieng er noch weiter, und alles war so still, daß einer seinen Athem hören konnte, und endlich kam er zu dem Thurm und öffnete die Thüre zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war so schön, daß er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuß. Wie er es mit dem Kuß berührt hatte, schlug Dornröschen die Augen auf, erwachte, und blickte ihn ganz freundlich an. Da giengen sie zusammen herab, und der König erwachte und die Königin, und der ganze Hofstaat, und sahen einander mit großen Augen an. Und die Pferde im Hof standen auf und rüttelten sich: die Jagdhunde sprangen und wedelten: die Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unterm Flügel hervor, sahen umher und flogen ins Feld: die Fliegen an den Wänden krochen weiter: das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte: und kochte das Essen: der Braten fieng wieder an zu brutzeln: und der Koch gab dem Jungen eine Ohrfeige daß er schrie: und die Magd rupfte das Huhn fertig. Und da wurde die Hochzeit des Königssohns mit dem Dornröschen in aller Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.

Der Gevatter Tod

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 44 – Gast: Jan Gießmann

Der Gevatter Tod

Es hatte ein armer Mann zwölf Kinder und mußte Tag und Nacht arbeiten damit er ihnen nur Brot geben konnte. Als nun das dreizehnte zur Welt kam, wußte er sich in seiner Noth nicht zu helfen, lief hinaus auf die große Landstraße und wollte den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Der erste der ihm begegnete, das war der liebe Gott, der wußte schon was er auf dem Herzen hatte, und sprach zu ihm „armer Mann, du dauerst mich, ich will dein Kind aus der Taufe heben, will für es sorgen und es glücklich machen auf Erden.“ Der Mann sprach „wer bist du?“ „Ich bin der liebe Gott.“ „So begehr ich dich nicht zu Gevatter,“ sagte der Mann, „du giebst dem Reichen und lässest den Armen hungern.“ Das sprach der Mann, weil er nicht wußte wie weislich Gott Reichthum und Armuth vertheilt. Also wendete er sich von dem Herrn und gieng weiter. Da trat der Teufel zu ihm und sprach „was suchst du? willst du mich zum Pathen deines Kindes nehmen, so will ich ihm Gold die Hülle und Fülle und alle Lust der Welt dazu geben.“ Der Mann fragte „wer bist du?“ „Ich bin der Teufel.“ „So begehr ich dich nicht zum Gevatter,“ sprach der Mann, „du betrügst und verführst die Menschen.“ Er gieng weiter, da kam der dürrbeinige Tod auf ihn zugeschritten und sprach „nimm mich zu Gevatter.“ Der Mann fragte „wer bist du?“ „Ich bin der Tod, der alle gleich macht.“ Da sprach der Mann „du bist der rechte, du holst den Reichen wie den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann sein.“ Der Tod [220] antwortete „ich will dein Kind reich und berühmt machen, denn wer mich zum Freunde hat, dem kanns nicht fehlen.“ Der Mann sprach „künftigen Sonntag ist die Taufe, da stelle dich zu rechter Zeit ein.“ Der Tod erschien wie er versprochen hatte, und stand ganz ordentlich Gevatter.

Als der Knabe zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pathe ein und hieß ihn mitgehen. Er führte ihn hinaus in den Wald, zeigte ihm ein Kraut, das da wuchs, und sprach „jetzt sollst du dein Pathengeschenk empfangen. Ich mache dich zu einem berühmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen: steh ich zu Häupten des Kranken, so kannst du keck sprechen, du wolltest ihn wieder gesund machen, und gibst du ihm dann von jenem Kraut ein, so wird er genesen; steh ich aber zu Füßen des Kranken, so ist er mein, und du mußt sagen alle Hilfe sei umsonst und kein Arzt in der Welt könne ihn retten. Aber hüte dich daß du das Kraut nicht gegen meinen Willen gebrauchst, es könnte dir schlimm ergehen.“

Es dauerte nicht lange, so war der Jüngling der berühmteste Arzt auf der ganzen Welt. „Er braucht nur den Kranken anzusehen, so weiß er schon wie es steht, ob er wieder gesund wird, oder ob er sterben muß,“ so hieß es von ihm, und weit und breit kamen die Leute herbei, holten ihn zu den Kranken und gaben ihm so viel Gold, daß er bald ein reicher Mann war. Nun trug es sich zu, daß der König erkrankte: der Arzt ward berufen und sollte sagen ob Genesung möglich wäre. Wie er aber zu dem Bette trat, so stand der Tod zu den Füßen des Kranken, und da war für ihn kein Kraut mehr gewachsen. „Wenn ich doch einmal den Tod überlisten könnte,“ dachte der Arzt, „er wirds freilich übel nehmen, aber da ich sein Pathe bin, so drückt er wohl ein Auge zu: ich wills wagen.“ Er faßte also den Kranken und legte ihn verkehrt, so daß der Tod zu Häupten desselben zu stehen kam. Dann gab [221] er ihm von dem Kraute ein, und der König erholte sich und ward wieder gesund. Der Tod aber kam zu dem Arzte, machte ein böses und finsteres Gesicht, drohte mit dem Finger und sagte „du hast mich hinter das Licht geführt: diesmal will ich dirs nachsehen, weil du mein Pathe bist, aber wagst du das noch einmal, so geht dirs an den Kragen, und ich nehme dich selbst mit fort.“

Bald hernach verfiel die Tochter des Königs in eine schwere Krankheit. Sie war sein einziges Kind, er weinte Tag und Nacht, daß ihm die Augen erblindeten, und ließ bekannt machen wer sie vom Tode errettete, der sollte ihr Gemahl werden und die Krone erben. Der Arzt, als er zu dem Bette der Kranken kam, erblickte den Tod zu ihren Füßen. Er hätte sich der Warnung seines Pathen erinnern sollen, aber die große Schönheit der Königstochter und das Glück ihr Gemahl zu werden bethörten ihn so, daß er alle Gedanken in den Wind schlug. Er sah nicht daß der Tod ihm zornige Blicke zuwarf, die Hand in die Höhe hob und mit der dürren Faust drohte; er hob die Kranke auf, und legte ihr Haupt dahin, wo die Füße gelegen hatten. Dann gab er ihr das Kraut ein, und alsbald rötheten sich ihre Wangen, und das Leben regte sich von neuem.

Der Tod, als er sich zum zweitenmal um sein Eigenthum betrogen sah, gieng mit langen Schritten auf den Arzt zu und sprach „es ist aus mit dir und die Reihe kommt nun an dich,“ packte ihn mit seiner eiskalten Hand so hart, daß er nicht widerstehen konnte, und führte ihn in eine unterirdische Höhle. Da sah er wie tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen brannten, einige groß, andere halbgroß, andere klein. Jeden Augenblick verloschen einige, und andere brannten wieder auf, also daß die Flämmchen in beständigem Wechsel hin und her zu hüpfen schienen. „Siehst du,“ sprach der Tod, „das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halbgroßen Eheleuten in [222] ihren besten Jahren, die kleinen gehören Greisen. Doch auch Kinder und junge Leute haben oft nur ein kleines Lichtchen.“ „Zeige mir mein Lebenslicht“ sagte der Arzt und meinte es wäre noch recht groß. Der Tod deutete auf ein kleines Endchen, das eben auszugehen drohte und sagte „siehst du, da ist es.“ „Ach, lieber Pathe,“ sagte der erschrockene Arzt, „zündet mir ein neues an, thut mirs zu Liebe, damit ich meines Lebens genießen kann, König werde und Gemahl der schönen Königstochter.“ „Ich kann nicht,“ antwortete der Tod, „erst muß eins verlöschen, eh ein neues anbrennt.“ „So setzt das alte auf ein neues, das gleich fortbrennt wenn jenes zu Ende ist,“ bat der Arzt. Der Tod stellte sich als ob er seinen Wunsch erfüllen wollte, langte ein frisches großes Licht herbei: aber weil er sich rächen wollte versah ers beim Umstecken absichtlich, und das Stückchen fiel um und verlosch. Alsbald sank der Arzt zu Boden, und war nun selbst in die Hand des Todes gerathen.


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https://de.wikisource.org/wiki/Der_Gevatter_Tod_(1857)/


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Frau Trude

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 43 – Gast: Jan Gießmann

Frau Trude.

Es war einmal ein kleines Mädchen, das war eigensinnig und vorwitzig, und wenn ihm seine Eltern etwas sagten, so gehorchte es nicht: wie konnte es dem gut gehen? Eines Tages sagte es zu seinen Eltern „ich habe so viel von der Frau Trude gehört, ich will einmal zu ihr hingehen: die Leute sagen es sehe so wunderlich bei ihr aus und erzählen es seien so seltsame Dinge in ihrem Hause, da bin ich ganz neugierig geworden.“ Die Eltern verboten es ihr streng und sagten „die Frau Trude ist eine böse Frau, die gottlose Dinge treibt, und wenn du zu ihr hingehst, so bist du unser Kind nicht mehr.“ Aber das Mädchen kehrte sich nicht an das Verbot seiner Eltern und gieng doch zu der Frau Trude. Und als es zu ihr kam, fragte die Frau Trude „warum bist du so bleich?“ „Ach,“ antwortete es, und zitterte am Leibe, „ich habe mich so erschrocken über das was ich gesehen habe.“ „Was hast du gesehen?“ „Ich sah auf eurer Stiege einen schwarzen Mann.“ „Das war ein Köhler.“ „Dann sah ich einen grünen Mann.“ „Das war ein Jäger.“ „Danach sah ich einen blutrothen Mann.“ „Das war ein Metzger.“ „Ach, Frau Trude, mir grauste, ich sah durchs Fenster und sah Euch nicht, wohl aber den Teufel mit feurigem Kopf.“ „Oho,“ sagte sie, „so hast du die Hexe in ihrem rechten Schmuck gesehen: ich habe schon lange auf dich gewartet und nach dir verlangt, du sollst mir leuchten.“ Da verwandelte sie das Mädchen in einen Holzblock und warf ihn ins Feuer. Und als er in voller Glut war, setzte sie sich daneben, wärmte sich daran und sprach „das leuchtet einmal hell!“


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Der Herr Gevatter

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 42 – Gast: Jan Gießmann

Der Herr Gevatter

Ein armer Mann hatte so viel Kinder, daß er schon alle Welt zu Gevatter gebeten hatte, und als er noch eins bekam, so war niemand mehr übrig, den er bitten konnte. Er wußte nicht was er anfangen sollte, legte sich in seiner Betrübnis nieder und schlief ein. Da träumte ihm er sollte vor das Thor gehen und den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Als er aufgewacht war, beschloß er dem Traume zu folgen, gieng hinaus vor das Thor und den ersten, der ihm begegnete, bat er zu Gevatter. Der Fremde schenkte ihm ein Gläschen mit Wasser und sagte „das ist ein wunderbares Wasser, damit kannst du die Kranken gesund machen, du mußt nur sehen wo der Tod steht. Steht er beim Kopf, so gib dem Kranken von dem Wasser, und er wird gesund werden, steht er aber bei den Füßen, so ist alle Mühe vergebens, er muß sterben.“ Der Mann konnte von nun an immer sagen ob ein Kranker zu retten war oder nicht, ward berühmt durch seine Kunst und verdiente viel Geld. Einmal ward er zu dem Kind des Königs gerufen, und als er eintrat, sah er den Tod bei dem Kopfe stehen, und heilte es mit dem Wasser, und so war es auch bei dem zweitenmal, aber das drittemal stand der Tod bei den Füßen, da mußte das Kind sterben.

Der Mann wollte doch einmal seinen Gevatter besuchen und ihm erzählen wie es mit dem Wasser gegangen war. Als er aber ins Haus kam, war eine so wunderliche Wirthschaft darin. Auf der ersten Treppe zankten sich Schippe und Besen, und schmissen [217] gewaltig aufeinander los. Er fragte sie „wo wohnt der Herr Gevatter?“ Der Besen antwortete „eine Treppe höher.“ Als er auf die zweite Treppe kam, sah er eine Menge todter Finger liegen. Er fragte „wo wohnt der Herr Gevatter?“ Einer aus den Fingern antwortete „eine Treppe höher.“ Auf der dritten Treppe lag ein Haufen todter Köpfe, die wiesen ihn wieder eine Treppe höher. Auf der vierten Treppe sah er Fische über dem Feuer stehen, die britzelten in der Pfanne, und backten sich selber. Sie sprachen auch „eine Treppe höher.“ Und als er die fünfte hinauf gestiegen war, so kam er vor eine Stube und guckte durch das Schlüsselloch, da sah er den Gevatter, der ein paar lange Hörner hatte. Als er die Thüre aufmachte und hinein gieng, legte sich der Gevatter geschwind aufs Bett und deckte sich zu. Da sprach der Mann „Herr Gevatter, was ist für eine wunderliche Wirthschaft in eurem Hause? als ich auf eure erste Treppe kam, so zankten sich Schippe und Besen mit einander und schlugen gewaltig auf einander los.“ „Wie seid ihr so einfältig,“ sagte der Gevatter, „das war der Knecht und die Magd, die sprachen mit einander.“ „Aber auf der zweiten Treppe sah ich todte Finger liegen.“ „Ei, wie seid ihr albern! das waren Skorzenerwurzel.“ „Auf der dritten Treppe lag ein Haufen Todtenköpfe.“ „Dummer Mann, das waren Krautköpfe.“ „Auf der vierten sah ich Fische in der Pfanne, die britzelten, und backten sich selber.“ Wie er das gesagt hatte, kamen die Fische und trugen sich selber auf. „Und als ich die fünfte Treppe heraufgekommen war, guckte ich durch das Schlüsselloch einer Thür, und da sah ich Euch, Gevatter, und ihr hattet lange lange Hörner.“ „Ei, das ist nicht wahr.“ Dem Mann ward angst, und er lief fort, und wer weiß was ihm der Herr Gevatter sonst angethan hätte.


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