Der Arme und der Reiche

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 87 – Gast: Malik Aziz

Quelle:

https://de.wikisource.org/wiki/DerArmeundderReiche_(1857)

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87.

Der Arme und der Reiche.

Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, daß er eines Abends müde war und ihn die Nacht überfiel, bevor er zu einer Herberge kommen konnte. Nun standen auf dem Weg vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, das eine groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und gehörte das große einem Reichen, das kleine einem armen Manne. Da dachte unser Herr Gott „dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen: bei ihm will ich übernachten.“ Der Reiche, als er an seine Thüre klopfen hörte, machte das Fenster auf und fragte den Fremdling was er suche? Der Herr antwortete „ich bitte um ein Nachtlager.“ Der Reiche guckte den Wandersmann von Haupt bis zu den Füßen an, und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf und sprach „ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Thüre klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht euch anderswo ein Auskommen.“ Schlug damit sein Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken und gieng hinüber zu dem kleinen Haus. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Thürchen auf und bat den Wandersmann einzutreten. „Bleibt die Nacht über bei mir,“ sagte er „es ist schon finster, und heute könnt ihr doch nicht weiter kommen.“ Das gefiel dem lieben Gott und [2] er trat zu ihm ein. Die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen und sagte er möchte sichs bequem machen und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein wenig Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott nieder und aß mit ihnen, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Nachdem sie gegessen hatten, und Schlafenszeit war, rief die Frau heimlich ihren Mann und sprach „hör, lieber Mann, wir wollen uns heute Nacht eine Streu machen, damit der arme Wanderer sich in unser Bett legen und ausruhen kann: er ist den ganzen Tag über gegangen, da wird einer müde.“ „Von Herzen gern,“ antwortete er, „ich wills ihm anbieten,“ gieng zu dem lieben Gott und bat ihn, wenns ihm recht wäre, möcht er sich in ihr Bett legen und seine Glieder ordentlich ausruhen. Der liebe Gott wollte den beiden Alten ihr Lager nicht nehmen, aber sie ließen nicht ab, bis er es endlich that und sich in ihr Bett legte: sich selbst aber machten sie eine Streu auf die Erde. Am andern Morgen standen sie vor Tag schon auf und kochten dem Gast ein Frühstück, so gut sie es hatten. Als nun die Sonne durchs Fensterlein schien und der liebe Gott aufgestanden war, aß er wieder mit ihnen und wollte dann seines Weges ziehen. Als er in der Thüre stand, kehrte er sich um und sprach „weil ihr so mitleidig und fromm seid, so wünscht euch dreierlei, das will ich euch erfüllen.“ Da sagte der Arme „was soll ich mir sonst wünschen als die ewige Seligkeit, und daß wir zwei, so lang wir leben, gesund dabei bleiben und unser nothdürftiges tägliches Brot haben; fürs dritte weiß ich mir nichts zu wünschen.“ Der liebe Gott sprach „willst du dir nicht ein neues Haus für das alte wünschen?“ „O ja,“ sagte der Mann, „wenn ich das auch noch erhalten kann, so wär mirs wohl lieb.“ [3] Da erfüllte der Herr ihre Wünsche, verwandelte ihr altes Haus in ein neues, gab ihnen nochmals seinen Segen und zog weiter.

Es war schon voller Tag, als der Reiche aufstand. Er legte sich ins Fenster und sah gegenüber ein neues, reinliches Haus mit rothen Ziegeln, wo sonst eine alte Hütte gestanden hatte. Da machte er große Augen, rief seine Frau herbei und sprach „sag mir, was ist geschehen? Gestern Abend stand noch die alte elende Hütte, und heute steht da ein schönes neues Haus. Lauf hinüber und höre wie das gekommen ist.“ Die Frau gieng und fragte den Armen aus: er erzählte ihr „gestern Abend kam ein Wanderer, der suchte Nachtherberge, und heute Morgen beim Abschied hat er uns drei Wünsche gewährt, die ewige Seligkeit, Gesundheit in diesem Leben und das nothdürftige tägliche Brot dazu und zuletzt noch statt unserer alten Hütte ein schönes neues Haus.“ Die Frau des Reichen lief eilig zurück und erzählte ihrem Manne wie alles gekommen war. Der Mann sprach „ich möchte mich zerreißen und zerschlagen: hätt ich das nur gewußt! der Fremde ist zuvor hier gewesen und hat bei uns übernachten wollen, ich habe ihn aber abgewiesen.“ „Eil dich,“ sprach die Frau, „und setze dich auf dein Pferd, so kannst du den Mann noch einholen, und dann mußt du dir auch drei Wünsche gewähren lassen.“

Der Reiche befolgte den guten Rath, jagte mit seinem Pferd davon und holte den lieben Gott noch ein. Er redete fein und lieblich und bat er möchts nicht übel nehmen, daß er nicht gleich wäre eingelassen worden, er hätte den Schlüssel zur Hausthüre gesucht, derweil wäre er weggegangen: wenn er des Weges zurück käme, müßte er bei ihm einkehren. „Ja,“ sprach der liebe Gott, „wenn ich einmal zurückkomme, will ich es thun.“ Da fragte der Reiche ob er nicht auch drei Wünsche thun dürfte, wie sein Nachbar? Ja, sagte der liebe Gott, das dürfte er wohl, es wäre aber nicht gut für ihn, und er sollte sich lieber nichts wünschen. Der [4] Reiche meinte er wollte sich schon etwas aussuchen, das zu seinem Glück gereiche, wenn er nur wüßte, daß es erfüllt würde. Sprach der liebe Gott „reit heim, und drei Wünsche, die du thust, die sollen in Erfüllung gehen.“

Nun hatte der Reiche was er verlangte, ritt heimwärts und fieng an nachzusinnen was er sich wünschen sollte. Wie er sich so bedachte und die Zügel fallen ließ, fieng das Pferd an zu springen, so daß er immerfort in seinen Gedanken gestört wurde und sie gar nicht zusammen bringen konnte. Er klopfte ihm an den Hals und sagte „sei ruhig, Liese,“ aber das Pferd machte aufs neue Männerchen. Da ward er zuletzt ärgerlich und rief ganz ungeduldig „so wollt ich, daß du den Hals zerbrächst!“ Wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump, fiel er auf die Erde, und lag das Pferd todt und regte sich nicht mehr; damit war der erste Wunsch erfüllt. Weil er aber von Natur geizig war, wollte er das Sattelzeug nicht im Stich lassen, schnitts ab, hiengs auf seinen Rücken, und mußte nun zu Fuß gehen. „Du hast noch zwei Wünsche übrig“ dachte er und tröstete sich damit. Wie er nun langsam durch den Sand dahin gieng, und zu Mittag die Sonne heiß brannte, wards ihm so warm und verdrießlich zu Muth: der Sattel drückte ihn auf den Rücken, auch war ihm noch immer nicht eingefallen, was er sich wünschen sollte. „Wenn ich mir auch alle Reiche und Schätze der Welt wünsche,“ sprach er zu sich selbst, „so fällt mir hernach noch allerlei ein, dieses und jenes, das weiß ich im voraus: ich wills aber so einrichten, daß mir gar nichts mehr übrig zu wünschen bleibt.“ Dann seufzte er und sprach „ja, wenn ich der bairische Bauer wäre, der auch drei Wünsche frei hatte, der wußte sich zu helfen, der wünschte sich zuerst recht viel Bier, und zweitens so viel Bier als er trinken könnte, und drittens noch ein Faß Bier dazu.“ Manchmal meinte er jetzt hätte er es gefunden, aber hernach schiens ihm doch zu wenig. Da [5] kam ihm so in die Gedanken was es seine Frau jetzt gut hätte, die säße daheim in einer kühlen Stube und ließe sichs wohl schmecken. Das ärgerte ihn ordentlich, und ohne daß ers wußte, sprach er so hin „ich wollte die säße daheim auf dem Sattel, und könnte nicht herunter, statt daß ich ihn da auf meinem Rücken schleppe.“ Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war der Sattel von seinem Rücken verschwunden, und er merkte daß sein zweiter Wunsch auch in Erfüllung gegangen war. Da ward ihm erst recht heiß, er fieng an zu laufen und wollte sich daheim ganz einsam in seine Kammer hinsetzen und auf etwas Großes für den letzten Wunsch sinnen. Wie er aber ankommt und die Stubenthür aufmacht, sitzt da seine Frau mittendrin auf dem Sattel und kann nicht herunter, jammert und schreit. Da sprach er „gib dich zufrieden, ich will dir alle Reichthümer der Welt herbei wünschen, nur bleib da sitzen.“ Sie schalt ihn aber einen Schafskopf und sprach „was helfen mir alle Reichthümer der Welt, wenn ich auf dem Sattel sitze; du hast mich darauf gewünscht, du mußt mir auch wieder herunter helfen.“ Er mochte wollen oder nicht, er mußte den dritten Wunsch thun, daß sie vom Sattel ledig wäre und herunter steigen könnte; und der Wunsch ward alsbald erfüllt. Also hatte er nichts davon als Ärger, Mühe, Scheltworte und ein verlornes Pferd: die Armen aber lebten vergnügt, still und fromm bis an ihr seliges Ende.