Die goldene Gans

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 64 – Gast: Jan Gießmann

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64. Die goldene Gans

Es war ein Mann, der hatte drei Söhne, davon hieß der jüngste der Dummling, und wurde verachtet und verspottet, und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt. Es geschah, daß der älteste in den Wald gehen wollte, Holz hauen, und eh er gieng, gab ihm noch seine Mutter einen schönen feinen Eierkuchen und eine Flasche Wein mit, damit er nicht Hunger und Durst litte. Als er in den Wald kam, begegnete ihm ein altes graues Männlein, das bot ihm einen guten Tag und sprach „gieb mir doch ein Stück Kuchen aus deiner Tasche, und laß mich einen Schluck von deinem Wein trinken, ich bin so hungrig und durstig.“ Der kluge Sohn aber antwortete „geb ich dir meinen Kuchen und meinen Wein, so hab ich selber nichts, pack dich deiner Wege,“ ließ das Männlein stehen und gieng fort. Als er nun anfieng einen Baum zu behauen, dauerte es nicht lange, so hieb er fehl, und die Axt fuhr ihm in den Arm, daß er mußte heimgehen und sich verbinden lassen. Das war aber von dem grauen Männchen gekommen.

Darauf gieng der zweite Sohn in den Wald, und die Mutter gab ihm, wie dem ältesten, einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Dem begegnete gleichfalls das alte graue Männchen und hielt um ein Stückchen Kuchen und einen Trunk Wein an. Aber der zweite Sohn sprach auch ganz verständig „was ich dir gebe, das geht mir selber ab, pack dich deiner Wege,“ ließ das Männlein stehen und gieng fort. Die Strafe blieb nicht aus, als er ein paar Hiebe am Baum gethan, hieb er sich ins Bein, daß er mußte nach Haus getragen werden.

[349] Da sagte der Dummling „Vater, laß mich einmal hinaus gehen und Holz hauen.“ Antwortete der Vater „deine Brüder haben sich Schaden dabei gethan, laß dich davon, du verstehst nichts davon.“ Der Dummling aber bat so lange, bis er endlich sagte „geh nur hin, durch Schaden wirst du klug werden.“ Die Mutter gab ihm einen Kuchen, der war mit Wasser in der Asche gebacken, und dazu eine Flasche saueres Bier. Als er in den Wald kam, begegnete ihm gleichfalls das alte graue Männchen, grüßte ihn und sprach „gieb mir ein Stück von deinem Kuchen und einen Trunk aus deiner Flasche, ich bin so hungrig und durstig.“ Antwortete der Dummling „ich habe aber nur Aschenkuchen und saueres Bier, wenn dir das recht ist, so wollen wir uns setzen und essen.“ Da setzten sie sich, und als der Dummling seinen Aschenkuchen herausholte, so wars ein feiner Eierkuchen, und das sauere Bier war ein guter Wein. Nun aßen und tranken sie, und danach sprach das Männlein „weil du ein gutes Herz hast und von dem Deinigen gerne mittheilst, so will ich dir Glück bescheren. Dort steht ein alter Baum, den hau ab, so wirst du in den Wurzeln etwas finden.“ Darauf nahm das Männlein Abschied.

Der Dummling gieng hin und hieb den Baum um, und wie er fiel, saß in den Wurzeln eine Gans, die hatte Federn von reinem Gold. Er hob sie heraus, nahm sie mit sich und gieng in ein Wirthshaus, da wollte er übernachten. Der Wirth hatte aber drei Töchter, die sahen die Gans, waren neugierig was das für ein wunderlicher Vogel wäre und hätten gar gern eine von seinen goldenen Federn gehabt. Die älteste dachte „es wird sich schon eine Gelegenheit finden wo ich mir eine Feder ausziehen kann,“ und als der Dummling einmal hinaus gegangen war, faßte sie die Gans beim Flügel, aber Finger und Hand blieben ihr daran festhängen. Bald danach kam die zweite und hatte keinen andern Gedanken als sich eine goldene Feder zu holen: kaum aber hatte sie [350] ihre Schwester angerührt, so blieb sie festhängen. Endlich kam auch die dritte in gleicher Absicht: da schrieen die andern „bleib weg, ums Himmelswillen, bleib weg.“ Aber sie begriff nicht warum sie wegbleiben sollte, dachte „sind die dabei, so kann ich auch dabei sein,“ und sprang herzu, und wie sie ihre Schwester angerührt hatte, so blieb sie an ihr hängen. So mußten sie die Nacht bei der Gans zubringen.

Am andern Morgen nahm der Dummling die Gans in den Arm, gieng fort, und bekümmerte sich nicht um die drei Mädchen, die daran hiengen. Sie mußten immer hinter ihm drein laufen, links und rechts, wies ihm in die Beine kam. Mitten auf dem Felde begegnete ihnen der Pfarrer, und als er den Aufzug sah, sprach er „schämt euch, ihr garstigen Mädchen, was lauft ihr dem jungen Bursch durchs Feld nach, schickt sich das?“ Damit faßte er die jüngste an die Hand und wollte sie zurückziehen: wie er sie aber anrührte, blieb er gleichfalls hängen und mußte selber hinter drein laufen. Nicht lange, so kam der Küster daher, und sah den Herrn Pfarrer, der drei Mädchen auf dem Fuß folgte. Da verwunderte er sich und rief „ei, Herr Pfarrer, wo hinaus so geschwind? vergeßt nicht daß wir heute noch eine Kindtaufe haben,“ lief auf ihn zu und faßte ihn am Ermel, blieb aber auch fest hängen. Wie die fünf so hinter einander her trabten, kamen zwei Bauern mit ihren Hacken vom Feld: da rief der Pfarrer sie an und bat sie möchten ihn und den Küster los machen. Kaum aber hatten sie den Küster angerührt, so blieben sie hängen, und waren ihrer nun siebene, die dem Dummling mit der Gans nachliefen.

Er kam darauf in eine Stadt, da herrschte ein König, der hatte eine Tochter, die war so ernsthaft, daß sie niemand zum lachen bringen konnte. Darum hatte er ein Gesetz gegeben, wer sie könnte zum lachen bringen, der sollte sie heirathen. Der Dummling, als er das hörte, gieng mit seiner Gans und ihrem Anhang [351] vor die Königstochter, und als diese die sieben Menschen immer hinter einander herlaufen sah, fieng sie überlaut an zu lachen und wollte gar nicht wieder aufhören. Da verlangte sie der Dummling zur Braut, aber dem König gefiel der Schwiegersohn nicht, er machte allerlei Einwendungen und sagte er müßte ihm erst einen Mann bringen, der einen Keller voll Wein austrinken könnte. Der Dummling dachte an das graue Männchen, das könnte ihm wohl helfen, gieng hinaus in den Wald, und auf der Stelle, wo er den Baum abgehauen hatte, sah er einen Mann sitzen, der machte ein ganz betrübtes Gesicht. Der Dummling fragte was er sich so sehr zu Herzen nähme. Da antwortete er „ich habe so großen Durst, und kann ihn nicht löschen, das kalte Wasser vertrage ich nicht, ein Faß Wein habe ich zwar ausgeleert, aber was ist ein Tropfen auf einem heißen Stein?“ „Da kann ich dir helfen,“ sagte der Dummling, „komm nur mit mir, du sollst satt haben.“ Er führte ihn darauf in des Königs Keller, und der Mann machte sich über die großen Fässer, trank und trank, daß ihm die Hüften weh thaten, und ehe ein Tag herum war, hatte er den ganzen Keller ausgetrunken. Der Dummling verlangte abermals seine Braut, der König aber ärgerte sich daß ein schlechter Bursch, den jedermann einen Dummling nannte, seine Tochter davon tragen sollte, und machte neue Bedingungen: er müßte erst einen Mann schaffen, der einen Berg voll Brot aufessen könnte. Der Dummling besann sich nicht lange, sondern gieng gleich hinaus in den Wald: da saß auf demselben Platz ein Mann, der schnürte sich den Leib mit einem Riemen zusammen, machte ein grämliches Gesicht, und sagte „ich habe einen ganzen Backofen voll Raspelbrot gegessen, aber was hilft das, wenn man so großen Hunger hat, wie ich: mein Magen bleibt leer, und ich muß mich nur zuschnüren, wenn ich nicht Hungers sterben soll.“ Der Dummling war froh darüber, und sprach „mach dich auf und geh mit mir, du sollst dich satt essen.“ Er [352] führte ihn an den Hof des Königs, der hatte alles Mehl aus dem ganzen Reich zusammenfahren und einen ungeheuern Berg davon backen lassen: der Mann aber aus dem Walde stellte sich davor, fieng an zu essen, und in einem Tag war der ganze Berg verschwunden. Der Dummling forderte zum drittenmal seine Braut, der König aber suchte noch einmal Ausflucht, und verlangte ein Schiff das zu Land und zu Wasser fahren könnte: „so wie du aber damit angesegelt kommst,“ sagte er, „so sollst du gleich meine Tochter zur Gemahlin haben.“ Der Dummling gieng gerades Weges in den Wald, da saß das alte graue Männchen, dem er seinen Kuchen gegeben hatte, und sagte „ich habe für dich getrunken und gegessen, ich will dir auch das Schiff geben; das alles thu ich, weil du barmherzig gegen mich gewesen bist.“ Da gab er ihm das Schiff, das zu Land und zu Wasser fuhr, und als der König das sah, konnte er ihm seine Tochter nicht länger vorenthalten. Die Hochzeit ward gefeiert, nach des Königs Tod erbte der Dummling das Reich, und lebte lange Zeit vergnügt mit seiner Gemahlin.

Die drei Federn

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 63 – Gast: Jan Gießmann

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63. Die drei Federn

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, davon waren zwei klug und gescheidt, aber der dritte sprach nicht viel, war einfältig und hieß nur der Dummling. Als der König alt und schwach ward und an sein Ende dachte, wußte er nicht welcher von seinen Söhnen nach ihm das Reich erben sollte. Da sprach er zu ihnen „ziehet aus, und wer mir den feinsten Teppich bringt, der soll nach meinem Tod König sein.“ Und damit es keinen Streit unter ihnen gab, führte er sie vor sein Schloß, blies drei Federn in die Luft und sprach „wie die fliegen, so sollt ihr ziehen.“ Die eine Feder flog nach Osten, die andere nach Westen, die dritte flog aber gerad aus, und flog nicht weit, sondern fiel bald zur Erde. Nun gieng der eine Bruder rechts, der andere gieng links, und sie lachten den Dummling aus, der bei der dritten Feder da wo sie nieder gefallen war, bleiben mußte.

Der Dummling setzte sich nieder und war traurig. Da bemerkte er auf einmal daß neben der Feder eine Fallthüre lag. Er hob sie in die Höhe, fand eine Treppe und stieg hinab. Da kam er vor eine andere Thüre, klopfte an, und hörte wie es inwendig rief

„Jungfer grün und klein,
Hutzelbein,
Hutzelbeins Hündchen,
Hutzel hin und her,
laß geschwind sehen, wer draußen wär.“
[345] Die Thüre that sich auf, und er sah eine große dicke Itsche (Kröte) sitzen und rings um sie eine Menge kleiner Itschen. Die dicke Itsche fragte was sein Begehren wäre. Er antwortete „ich hätte gerne den schönsten und feinsten Teppich.“ Da rief sie eine junge und sprach

„Jungfer grün und klein,
Hutzelbein,
Hutzelbeins Hündchen,
Hutzel hin und her,
bring mir die große Schachtel her.“
Die junge Itsche holte die Schachtel, und die dicke Itsche machte sie auf und gab dem Dummling einen Teppich daraus, so schön und so fein, wie oben auf der Erde keiner konnte gewebt werden. Da dankte er ihr und stieg wieder hinauf.

Die beiden andern hatten aber ihren jüngsten Bruder für so albern gehalten, daß sie glaubten er würde gar nichts finden und aufbringen. „Was sollen wir uns mit Suchen groß Mühe geben“ sprachen sie, nahmen dem ersten besten Schäfersweib, das ihnen begegnete, die groben Tücher vom Leib und trugen sie dem König heim. Zu derselben Zeit kam auch der Dummling zurück, und brachte seinen schönen Teppich, und als der König den sah, erstaunte er, und sprach „wenn es dem Recht nach gehen soll, so gehört dem jüngsten das Königreich.“ Aber die zwei andern ließen dem Vater keine Ruhe und sprachen unmöglich könnte der Dummling, dem es in allen Dingen an Verstand fehlte, König werden, und baten ihn er möchte eine neue Bedingung machen. Da sagte der Vater, „der soll das Reich erben, der mir den schönsten Ring bringt,“ führte die drei Brüder hinaus, und blies drei Federn in die Luft, denen sie nachgehen sollten. Die zwei ältesten zogen wieder nach Osten und Westen, und für den Dummling flog die Feder gerade aus und fiel neben der Erdthüre nieder. Da stieg er [346] wieder hinab zu der dicken Itsche und sagte ihr daß er den schönsten Ring brauchte. Sie ließ sich gleich ihre große Schachtel holen und gab ihm daraus einen Ring, der glänzte von Edelsteinen und war so schön daß ihn kein Goldschmied auf der Erde hätte machen können. Die zwei ältesten lachten über den Dummling, der einen goldenen Ring suchen wollte, gaben sich gar keine Mühe, sondern schlugen einem alten Wagenring die Nägel aus und brachten ihn dem König. Als aber der Dummling seinen goldenen Ring vorzeigte, so sprach der Vater abermals „ihm gehört das Reich.“ Die zwei ältesten ließen nicht ab den König zu quälen, bis er noch eine dritte Bedingung machte und den Ausspruch that, der sollte das Reich haben, der die schönste Frau heimbrächte. Die drei Federn blies er nochmals in die Luft, und sie flogen wie die vorigemale.

Da gieng der Dummling ohne weiteres hinab zu der dicken Itsche und sprach „ich soll die schönste Frau heimbringen.“ „Ei,“ antwortete die Itsche, „die schönste Frau! die ist nicht gleich zur Hand, aber du sollst sie doch haben.“ Sie gab ihm eine ausgehölte gelbe Rübe mit sechs Mäuschen bespannt. Da sprach der Dummling ganz traurig „was soll ich damit anfangen?“ Die Itsche antwortete „setze nur eine von meinen kleinen Itschen hinein.“ Da griff er auf Gerathewohl eine aus dem Kreiß und setzte sie in die gelbe Kutsche, aber kaum saß sie darin, so ward sie zu einem wunderschönen Fräulein, die Rübe zur Kutsche, und die sechs Mäuschen zu Pferden. Da küßte er sie, jagte mit den Pferden davon und brachte sie zu dem König. Seine Brüder kamen nach, die hatten sich gar keine Mühe gegeben, eine schöne Frau zu suchen, sondern die ersten besten Bauernweiber mitgenommen. Als der König sie erblickte, sprach er „dem jüngsten gehört das Reich nach meinem Tod.“ Aber die zwei ältesten betäubten die Ohren des Königs aufs neue mit ihrem Geschrei, „wir könnens nicht zugeben [347] daß der Dummling König wird,“ und verlangten der sollte den Vorzug haben, dessen Frau durch einen Ring springen könnte, der da mitten in dem Saal hieng. Sie dachten „die Bauernweiber können das wohl, die sind stark genug, aber das zarte Fräulein springt sich todt.“ Der alte König gab das auch noch zu. Da sprangen die zwei Bauernweiber, sprangen auch durch den Ring, waren aber so plump, daß sie fielen und ihre groben Arme und Beine entzwei brachen. Darauf sprang das schöne Fräulein, das der Dummling mitgebracht hatte, und sprang so leicht hindurch wie ein Reh, und aller Widerspruch mußte aufhören. Also erhielt er die Krone, und hat lange in Weisheit geherrscht.

Das Bürle

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 61 – Gast: Ronny Fischer

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https://de.wikisource.org/wiki/DasBürle(1857)


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61. Das Bürle

Es war ein Dorf, darin saßen lauter reiche Bauern und nur ein armer, den nannten sie das Bürle (Bäuerlein). Er hatte nicht einmal eine Kuh und noch weniger Geld eine zu kaufen: und er und seine Frau hätten so gern eine gehabt. Einmal sprach er zu ihr „hör, ich habe einen guten Gedanken, da ist unser Gevatter Schreiner, der soll uns ein Kalb aus Holz machen und braun anstreichen, daß es wie ein anderes aussieht, mit der Zeit wirds wohl groß und gibt eine Kuh.“ Der Frau gefiel das auch, und der Gevatter Schreiner zimmerte und hobelte das Kalb zurecht, strich es an, wie sichs gehörte, und machte es so, daß es den Kopf herab senkte, als fräße es.

Wie die Kühe des andern Morgens ausgetrieben wurden, rief das Bürle den Hirt herein und sprach „seht, da hab ich ein Kälbchen, aber es ist noch klein und muß noch getragen werden.“ Der Hirt sagte „schon gut,“ nahms in seinen Arm, trugs hinaus auf die Weide und stellte es ins Gras. Das Kälbchen blieb da immer stehen wie eins das frißt, und der Hirt sprach „das wird bald selber laufen, guck einer was es schon frißt!“ Abends als er die Herde wieder heim treiben wollte, sprach er zu dem Kalb „kannst du da stehen und dich satt fressen, so kannst du auch auf deinen vier Beinen gehen, ich mag dich nicht wieder auf dem Arm heim schleppen.“ Das Bürle stand aber vor der Hausthüre und wartete auf sein Kälbchen: als nun der Kuhhirt durchs Dorf trieb, und das Kälbchen fehlte, fragte er danach. Der Hirt antwortete „das [336] steht noch immer draußen und frißt: es wollte nicht aufhören und nicht mitgehen.“ Bürle aber sprach „ei was, ich muß mein Vieh wieder haben.“ Da giengen sie zusammen nach der Wiese zurück, aber einer hatte das Kalb gestohlen, und es war fort. Sprach der Hirt „es wird sich wohl verlaufen haben.“ Das Bürle aber sagte „mir nicht so!“ und führte den Hirten vor den Schultheiß, der verdammte ihn für seine Nachlässigkeit daß er dem Bürle für das entkommene Kalb mußte eine Kuh geben.

Nun hatte das Bürle und seine Frau die lang gewünschte Kuh; sie freuten sich von Herzen, hatten aber kein Futter, und konnten ihr nichts zu fressen geben, also mußte sie bald geschlachtet werden. Das Fleisch salzten sie ein, und das Bürle gieng in die Stadt und wollte das Fell dort verkaufen, um für den Erlös ein neues Kälbchen zu bestellen. Unterwegs kam er an eine Mühle, da saß ein Rabe mit gebrochenen Flügeln, den nahm er aus Erbarmen auf und wickelte ihn in das Fell. Weil aber das Wetter so schlecht ward, und Wind und Regen stürmte, konnte er nicht weiter, kehrte in die Mühle ein und bat um Herberge. Die Müllerin war allein zu Haus und sprach zu dem Bürle „da leg dich auf die Streu,“ und gab ihm ein Käsebrot. Das Bürle aß und legte sich nieder, sein Fell neben sich, und die Frau dachte „der ist müde und schläft.“ Indem kam der Pfaff, die Frau Müllerin empfieng ihn wohl und sprach „mein Mann ist aus, da wollen wir uns tractieren.“ Bürle horchte auf und wies von tractieren hörte, ärgerte es sich daß es mit Käsebrot hatte vorlieb nehmen müssen. Da trug die Frau herbei, und trug viererlei auf, Braten, Salat, Kuchen und Wein.

Wie sie sich nun setzten und essen wollten, klopfte es draußen. Sprach die Frau „ach Gott, das ist mein Mann!“ Geschwind versteckte sie den Braten in die Ofenkachel, den Wein unters Kopfkissen, den Salat aufs Bett, den Kuchen unters Bett, und den Pfaff in den Schrank auf dem Hausehrn. Danach machte sie dem [337] Mann auf und sprach „gottlob, daß du wieder hier bist! Das ist ein Wetter, als wenn die Welt untergehen sollte!“ Der Müller sahs Bürle auf dem Streu liegen und fragte „was will der Kerl da?“ „Ach,“ sagte die Frau, „der arme Schelm kam in dem Sturm und Regen, und bat um ein Obdach, da hab ich ihm ein Käsebrot gegeben, und ihm die Streu angewiesen.“ Sprach der Mann „ich habe nichts dagegen, aber schaff mir bald etwas zu essen.“ Die Frau sagte „ich habe aber nichts als Käsebrot.“ „Ich bin mit allem zufrieden,“ antwortete der Mann, „meinetwegen mit Käsebrot,“ sah das Bürle an und rief „komm und iß noch einmal mit.“ Bürle ließ sich das nicht zweimal sagen, stand auf und aß mit. Danach sah der Müller das Fell auf der Erde liegen, in dem der Rabe steckte, und fragte „was hast du da?“ Antwortete das Bürle „da hab ich einen Wahrsager drin.“ „Kann der mir auch wahrsagen?“ sprach der Müller. „Warum nicht?“ antwortete das Bürle, „er sagt aber nur vier Dinge, und das fünfte behält er bei sich.“ Der Müller war neugierig, und sprach „laß ihn einmal wahrsagen.“ Da drückte Bürle dem Raben auf den Kopf, daß er quackte und „krr krr“ machte. Sprach der Müller „was hat er gesagt?“ Bürle antwortete „erstens hat er gesagt es steckte Wein unterm Kopfkissen.“ „Das wäre des Guckgucks!“ rief der Müller, gieng hin und fand den Wein. „Nun weiter“ sprach der Müller. Das Bürle ließ den Raben wieder quacksen und sprach „zweitens, hat er gesagt, wäre Braten in der Ofenkachel.“ „Das wäre des Guckgucks!“ rief der Müller, gieng hin und fand den Braten. Bürle ließ den Raben noch mehr weissagen und sprach „drittens, hat er gesagt, wäre Salat auf dem Bett.“ „Das wäre des Guckgucks!“ rief der Müller, gieng hin und fand den Salat. Endlich drückte das Bürle den Raben noch einmal, daß er knurrte, und sprach „viertens, hat er gesagt, wäre Kuchen unterm Bett.“ „Das wäre des Guckgucks!“ rief der Müller, gieng hin und fand den Kuchen.

[338] Nun setzten sich die zwei zusammen an den Tisch, die Müllerin aber kriegte Todesängste, legte sich ins Bett und nahm alle Schlüssel zu sich. Der Müller hätte auch gern das fünfte gewußt, aber Bürle sprach „erst wollen wir die vier andern Dinge ruhig essen, denn das fünfte ist etwas schlimmes.“ So aßen sie und danach ward gehandelt wie viel der Müller für die fünfte Wahrsagung geben sollte, bis sie um dreihundert Thaler einig wurden. Da drückte das Bürle dem Raben noch einmal an den Kopf, daß er laut quackte. Fragte der Müller „was hat er gesagt?“ Antwortete das Bürle „er hat gesagt draußen im Schrank auf dem Hausehrn, da steckte der Teufel.“ Sprach der Müller „der Teufel muß hinaus,“ und sperrte die Hausthür auf, die Frau aber mußte den Schlüssel hergeben, und Bürle schloß den Schrank auf. Da lief der Pfaff was er konnte hinaus, und der Müller sprach „ich habe den schwarzen Kerl mit meinen Augen gesehen: es war richtig.“ Bürle aber machte sich am andern Morgen in der Dämmerung mit den dreihundert Thalern aus dem Staub.

Daheim that sich das Bürle allgemach auf, baute ein hübsches Haus, und die Bauern sprachen „das Bürle ist gewiß gewesen wo der goldene Schnee fällt und man das Geld mit Scheffeln heim trägt.“ Da ward Bürle vor den Schultheiß gefordert, es sollte sagen woher sein Reichthum käme. Antwortete es „ich habe mein Kuhfell in der Stadt für dreihundert Thaler verkauft.“ Als die Bauern das hörten, wollten sie auch den großen Vortheil genießen, liefen heim, schlugen all ihre Kühe todt und zogen die Felle ab, um sie in der Stadt mit dem großen Gewinn zu verkaufen. Der Schultheiß sprach „meine Magd muß aber vorangehen.“ Als diese zum Kaufmann in die Stadt kam, gab er ihr nicht mehr als drei Thaler für ein Fell; und als die übrigen kamen, gab er ihnen nicht einmal so viel und sprach „was soll ich mit all den Häuten anfangen?“

[339] Nun ärgerten sich die Bauern daß sie vom Bürle hinters Licht geführt waren, wollten Rache an ihm nehmen und verklagten es wegen des Betrugs bei dem Schultheiß. Das unschuldige Bürle ward einstimmig zum Tod verurtheilt, und sollte in einem durchlöcherten Faß ins Wasser gerollt werden. Bürle ward hinausgeführt und ein Geistlicher gebracht, der ihm eine Seelenmesse lesen sollte. Die andern mußten sich alle entfernen, und wie das Bürle den Geistlichen anblickte, so erkannte es den Pfaffen, der bei der Frau Müllerin gewesen war. Sprach es zu ihm „ich hab euch aus dem Schrank befreit, befreit mich aus dem Faß.“ Nun trieb gerade der Schäfer mit einer Herde Schafe daher, von dem das Bürle wußte daß er längst gerne Schultheiß geworden wäre, da schrie es aus allen Kräften „nein, ich thus nicht! und wenns die ganze Welt haben wollte, nein, ich thus nicht!“ Der Schäfer, der das hörte, kam herbei und fragte „was hast du vor? was willst du nicht thun?“ Bürle sprach „da wollen sie mich zum Schultheiß machen, wenn ich mich in das Faß setze, aber ich thus nicht.“ Der Schäfer sagte „wenns weiter nichts ist, um Schultheiß zu werden, wollte ich mich gleich in das Faß setzen.“ Bürle sprach „willst du dich hinein setzen, so wirst du auch Schultheiß.“ Der Schäfer wars zufrieden, setzte sich hinein, und das Bürle schlug den Deckel drauf; dann nahm es die Herde des Schäfers für sich und trieb sie fort. Der Pfaff aber gieng zur Gemeinde und sagte die Seelenmesse wäre gelesen. Da kamen sie und rollten das Faß nach dem Wasser hin. Als das Faß zu rollen anfieng, rief der Schäfer „ich will ja gerne Schultheiß werden.“ Sie glaubten nicht anders als das Bürle schrie so, und sprachen „das meinen wir auch, aber erst sollst du dich da unten umsehen,“ und rollten das Faß ins Wasser hinein.

Darauf giengen die Bauern heim, und wie sie ins Dorf kamen, so kam auch das Bürle daher, trieb eine Herde Schafe ruhig ein [340] und war ganz zufrieden. Da erstaunten die Bauern und sprachen „Bürle, wo kommst du her? kommst du aus dem Wasser!“ „Freilich,“ antwortete das Bürle, „ich bin versunken tief, tief, bis ich endlich auf den Grund kam: ich stieß dem Faß den Boden aus und kroch hervor, da waren schöne Wiesen, auf denen viele Lämmer weideten, davon bracht ich mir die Herde mit.“ Sprachen die Bauern „sind noch mehr da?“ „O ja,“ sagte das Bürle, „mehr als ihr brauchen könnt.“ Da verabredeten sich die Bauern daß sie sich auch Schafe holen wollten, jeder eine Herde; der Schultheiß aber sagte „ich komme zuerst.“ Nun giengen sie zusammen zum Wasser, da standen gerade am blauen Himmel kleine Flockwolken, die man Lämmerchen nennt, die spiegelten sich im Wasser ab, da riefen die Bauern „wir sehen schon die Schafe unten auf dem Grund.“ Der Schulz drängte sich hervor und sagte „nun will ich zuerst hinunter und mich umsehen; wenns gut ist, will ich euch rufen.“ Da sprang er hinein, „plump“ klang es im Wasser. Sie meinten nicht anders als er riefe ihnen zu „kommt!“ und der ganze Haufe stürzte in einer Hast hinter ihm drein. Da war das Dorf ausgestorben, und Bürle als der einzige Erbe ward ein reicher Mann.

Die zwölf Jäger

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 67 – Gast: Lars „Herr von Speck“

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Die Bienenkönigin

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 62 – Gast: Jan Watermann

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62. Die Bienenkönigin

Zwei Königssöhne giengen einmal auf Abenteuer und geriethen in ein wildes, wüstes Leben, so daß sie gar nicht wieder nach Haus kamen. Der jüngste, welcher der Dummling hieß, machte sich auf und suchte seine Brüder: aber wie er sie endlich fand, verspotteten sie ihn, daß er mit seiner Einfalt sich durch die Welt schlagen wollte, und sie zwei könnten nicht durchkommen, und wären doch viel klüger. Sie zogen alle drei miteinander fort und kamen an einen Ameisenhaufen. Die zwei ältesten wollten ihn aufwühlen und sehen wie die kleinen Ameisen in der Angst herumkröchen und ihre Eier forttrügen, aber der Dummling sagte „laßt die Thiere in Frieden, ich leids nicht, daß ihr sie stört.“ Da giengen sie weiter und kamen an einen See, auf dem schwammen viele viele Enten. Die zwei Brüder wollten ein paar fangen und braten, aber der Dummling ließ es nicht zu, und sprach „laßt die Thiere in Frieden, ich leids nicht, daß ihr sie tödtet.“ Endlich kamen sie an ein Bienennest, darin war so viel Honig, daß er am Stamm herunterlief. Die zwei wollten Feuer unter den Baum legen und die Bienen ersticken, damit sie den Honig wegnehmen könnten. Der Dummling hielt sie aber wieder ab, und sprach „laßt die Thiere in Frieden, ich leids nicht, daß ihr sie verbrennt.“ Endlich kamen die drei Brüder in ein Schloß, wo in den Ställen lauter steinerne Pferde standen, auch war kein Mensch zu sehen, und sie giengen durch alle Säle, bis sie vor eine Thür ganz am Ende kamen, davor hiengen drei Schlösser; es war aber mitten in der Thüre [342] ein Lädlein, dadurch konnte man in die Stube sehen. Da sahen sie ein graues Männchen, das an einem Tisch saß. Sie riefen es an, einmal, zweimal, aber es hörte nicht: endlich riefen sie zum drittenmal, da stand es auf, öffnete die Schlösser und kam heraus. Er sprach aber kein Wort, sondern führte sie zu einem reichbesetzten Tisch; und als sie gegessen und getrunken hatten, brachte es einen jeglichen in sein eigenes Schlafgemach. Am andern Morgen kam das graue Männchen zu dem ältesten, winkte und leitete ihn zu einer steinernen Tafel, darauf standen drei Aufgaben geschrieben, wodurch das Schloß erlöst werden könnte. Die erste war, in dem Wald unter dem Moos lagen die Perlen der Königstochter, tausend an der Zahl, die mußten aufgesucht werden, und wenn vor Sonnenuntergang noch eine einzige fehlte, so ward der, welcher gesucht hatte, zu Stein. Der älteste gieng hin und suchte den ganzen Tag, als aber der Tag zu Ende war, hatte er erst hundert gefunden; es geschah wie auf der Tafel stand, er ward in Stein verwandelt. Am folgenden Tag unternahm der zweite Bruder das Abenteuer: es gieng ihm aber nicht viel besser als dem ältesten, er fand nicht mehr als zweihundert Perlen, und ward zu Stein. Endlich kam auch an den Dummling die Reihe, der suchte im Moos, es war aber so schwer die Perlen zu finden und gieng so langsam. Da setzte er sich auf einen Stein und weinte. Und wie er so saß, kam der Ameisenkönig, dem er einmal das Leben erhalten hatte, mit fünftausend Ameisen, und es währte gar nicht lange, so hatten die kleinen Thiere die Perlen mit einander gefunden und auf einen Haufen getragen. Die zweite Aufgabe aber war, den Schlüssel zu der Schlafkammer der Königstochter aus der See zu holen. Wie der Dummling zur See kam, schwammen die Enten, die er einmal gerettet hatte, heran, tauchten unter, und holten den Schlüssel aus der Tiefe. Die dritte Aufgabe aber war die schwerste, aus den drei schlafenden Töchtern des Königs sollte [343] die jüngste und die liebste heraus gesucht werden. Sie glichen sich aber vollkommen, und waren durch nichts verschieden, als daß sie, bevor sie eingeschlafen waren, verschiedene Süßigkeiten gegessen hatten, die älteste ein Stück Zucker, die zweite ein wenig Syrup, die jüngste einen Löffel voll Honig. Da kam die Bienenkönigin von den Bienen, die der Dummling vor dem Feuer geschützt hatte, und versuchte den Mund von allen dreien, zuletzt blieb sie auf dem Mund sitzen, der Honig gegessen hatte, und so erkannte der Königssohn die rechte. Da war der Zauber vorbei, alles war aus dem Schlaf erlöst, und wer von Stein war, erhielt seine menschliche Gestalt wieder. Und der Dummling vermählte sich mit der jüngsten und liebsten, und ward König nach ihres Vaters Tod; seine zwei Brüder aber erhielten die beiden andern Schwestern.

Schneeweißchen und Rosenroth

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 161 – Gästin: Rebecca Görmann


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161. Schneeweißchen und Rosenroth

Eine arme Wittwe, die lebte einsam in einem Hüttchen, und vor dem Hüttchen war ein Garten, darin standen zwei Rosenbäumchen, davon trug das eine weiße, das andere rothe Rosen: und sie hatte zwei Kinder, die glichen den beiden Rosenbäumchen, und das eine hieß Schneeweißchen, das andere Rosenroth. Sie waren aber so fromm und gut, so arbeitsam und unverdrossen, als je zwei Kinder auf der Welt gewesen sind: Schneeweißchen war nur stiller und sanfter als Rosenroth. Rosenroth sprang lieber in den Wiesen und Feldern umher, suchte Blumen und fieng Sommervögel: Schneeweißchen aber saß daheim bei der Mutter, half ihr im Hauswesen, oder las ihr vor, wenn nichts zu thun war. Die beiden Kinder hatten einander so lieb, daß sie sich immer an den Händen faßten, so oft sie zusammen ausgiengen: und wenn Schneeweißchen sagte „wir wollen uns nicht verlassen,“ so antwortete Rosenroth „so lange wir leben nicht,“ und die Mutter setzte hinzu „was das eine hat solls mit dem andern theilen.“ Oft liefen sie im Walde allein umher und sammelten rothe Beeren, aber kein Thier that ihnen etwas zu leid, sondern sie kamen vertraulich herbei: das Häschen fraß ein Kohlblatt aus ihren Händen, das Reh graste an ihrer Seite, der Hirsch sprang ganz lustig vorbei und die Vögel blieben auf den Ästen sitzen und sangen was sie nur wußten. Kein Unfall traf sie: wenn sie sich im Walde verspätet hatten und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich nebeneinander auf das Moos und schliefen bis der Morgen kam, und die Mutter wußte das und hatte ihrentwegen keine [297] Sorge. Einmal, als sie im Walde übernachtet hatten und das Morgenroth sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind in einem weißen glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager sitzen. Es stand auf und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts und gieng in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie ganz nahe bei einem Abgrunde geschlafen, und wären gewis hinein gefallen, wenn sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weiter gegangen wären. Die Mutter aber sagte ihnen das müßte der Engel gewesen sein, der gute Kinder bewache.

Schneeweißchen und Rosenroth hielten das Hüttchen der Mutter so reinlich, daß es eine Freude war hinein zu schauen. Im Sommer besorgte Rosenroth das Haus und stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie aufwachte, einen Blumenstrauß vors Bett, darin war von jedem Bäumchen eine Rose. Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer an und hieng den Kessel an den Feuerhaken, und der Kessel war von Messing, glänzte aber wie Gold, so rein war er gescheuert. Abends, wenn die Flocken fielen, sagte die Mutter „geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor,“ und dann setzten sie sich an den Herd, und die Mutter nahm die Brille und las aus einem großen Buche vor, und die beiden Mädchen hörten zu, saßen und spannen; neben ihnen lag ein Lämmchen auf dem Boden, und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt.

Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand an die Thüre, als wollte er eingelassen sein. Die Mutter sprach „geschwind, Rosenroth, mach auf, es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.“ Rosenroth gieng und schob den Riegel weg und dachte es wäre ein armer Mann, aber der war es nicht, es war ein Bär, der seinen dicken schwarzen Kopf zur Thüre herein streckte. Rosenroth schrie laut und sprang zurück: das Lämmchen blöckte, das Täubchen flatterte auf und Schneeweißchen versteckte [298] sich hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fieng an zu sprechen und sagte „fürchtet euch nicht, ich thue euch nichts zu leid, ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.“ „Du armer Bär,“ sprach die Mutter, „leg dich ans Feuer, und gib nur acht daß dir dein Pelz nicht brennt.“ Dann rief sie „Schneeweißchen, Rosenroth, kommt hervor, der Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.“ Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht vor ihm. Der Bär sprach „ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk,“ und sie holten den Besen und kehrten dem Bär das Fell rein: er aber streckte sich ans Feuer und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut und trieben Muthwillen mit dem unbeholfenen Gast. Sie zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen auf seinen Rücken und walgerten ihn hin und her, oder sie nahmen eine Haselruthe und schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sichs aber gerne gefallen, nur wenn sies gar zu arg machten, rief er „laßt mich am Leben, ihr Kinder:

Schneeweißchen, Rosenroth,
schlägst dir den Freier todt.“
Als Schlafenszeit war und die andern zu Bett giengen, sagte die Mutter zu dem Bär „du kannst in Gottes Namen da am Herde liegen bleiben, so bist du vor der Kälte und dem bösen Wetter geschützt.“ Sobald der Tag graute, ließen ihn die beiden Kinder hinaus, und er trabte über den Schnee in den Wald hinein. Von nun an kam der Bär jeden Abend zu der bestimmten Stunde, legte sich an den Herd und erlaubte den Kindern Kurzweil mit ihm zu treiben, so viel sie wollten; und sie waren so gewöhnt an ihn, daß die Thüre nicht eher zugeriegelt ward, als bis der schwarze Gesell angelangt war.

[299] Als das Frühjahr herangekommen und draußen alles grün war, sagte der Bär eines Morgens zu Schneeweißchen „nun muß ich fort und darf den ganzen Sommer nicht wieder kommen.“ „Wo gehst du denn hin, lieber Bär?“ fragte Schneeweißchen. „Ich muß in den Wald und meine Schätze vor den bösen Zwergen hüten: im Winter, wenn die Erde hart gefroren ist, müssen sie wohl unten bleiben und können sich nicht durcharbeiten, aber jetzt, wenn die Sonne die Erde aufgethaut und erwärmt hat, da brechen sie durch, steigen herauf, suchen und stehlen; was einmal in ihren Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das kommt so leicht nicht wieder an des Tages Licht.“ Schneeweißchen war ganz traurig über den Abschied und als es ihm die Thüre aufriegelte, und der Bär sich hinaus drängte, blieb er an dem Thürhaken hängen und ein Stück seiner Haut riß auf, und da war es Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern gesehen: aber es war seiner Sache nicht gewis. Der Bär lief eilig fort und war bald hinter den Bäumen verschwunden.

Nach einiger Zeit schickte die Mutter die Kinder in den Wald, Reisig zu sammeln. Da fanden sie draußen einen großen Baum, der lag gefällt auf dem Boden, und an dem Stamme sprang zwischen dem Gras etwas auf und ab, sie konnten aber nicht unterscheiden was es war. Als sie näher kamen, sahen sie einen Zwerg mit einem alten verwelkten Gesicht und einem ellenlangen schneeweißen Bart. Das Ende des Bartes war in eine Spalte des Baums eingeklemmt, und der Kleine sprang hin und her wie ein Hündchen an einem Seil und wußte nicht wie er sich helfen sollte. Er glotzte die Mädchen mit seinen rothen feurigen Augen an und schrie „was steht ihr da! könnt ihr nicht herbei gehen und mir Beistand leisten?“ „Was hast du angefangen, kleines Männchen?“ fragte Rosenroth. „Dumme neugierige Gans,“ antwortete der Zwerg, „den Baum habe ich mir spalten wollen, um kleines Holz [300] in der Küche zu haben; bei den dicken Klötzen verbrennt gleich das bischen Speise, das unser einer braucht, der nicht so viel hinunter schlingt als ihr, grobes, gieriges Volk. Ich hatte den Keil schon glücklich hinein getrieben, und es wäre alles nach Wunsch gegangen, aber das verwünschte Holz war zu glatt und sprang unversehens heraus, und der Baum fuhr so geschwind zusammen, daß ich meinen schönen weißen Bart nicht mehr herausziehen konnte; nun steckt er drinn, und ich kann nicht fort. Da lachen die albernen glatten Milchgesichter! pfui, was seid ihr garstig!“ Die Kinder gaben sich alle Mühe, aber sie konnten den Bart nicht heraus ziehen, er steckte zu fest. „Ich will laufen und Leute herbei holen“ sagte Rosenroth. „Wahnsinnige Schafsköpfe,“ schnarrte der Zwerg, „wer wird gleich Leute herbeirufen, ihr seid mir schon um zwei zu viel; fällt euch nicht besseres ein?“ „Sei nur nicht ungeduldig,“ sagte Schneeweißchen, „ich will schon Rath schaffen,“ holte sein Scheerchen aus der Tasche und schnitt das Ende des Bartes ab. Sobald der Zwerg sich frei fühlte, griff er nach einem Sack, der zwischen den Wurzeln des Baums steckte und mit Gold gefüllt war, hob ihn heraus und brummte vor sich hin „ungehobeltes Volk, schneidet mir ein Stück von meinem stolzen Barte ab! lohns euch der Guckuck!“ damit schwang er seinen Sack auf den Rücken und gieng fort ohne die Kinder nur noch einmal anzusehen.

Einige Zeit danach wollten Schneeweißchen und Rosenroth ein Gericht Fische angeln. Als sie nahe bei dem Bach waren, sahen sie daß etwas wie eine große Heuschrecke nach dem Wasser zu hüpfte, als wollte es hinein springen. Sie liefen heran und erkannten den Zwerg. „Wo willst du hin?“ sagte Rosenroth, „du willst doch nicht ins Wasser?“ „Solch ein Narr bin ich nicht,“ schrie der Zwerg, „seht ihr nicht, der verwünschte Fisch will mich hinein ziehen?“ Der Kleine hatte da gesessen und geangelt, und [301] unglücklicher Weise hatte der Wind seinen Bart mit der Angelschnur verflochten: als gleich darauf ein großer Fisch anbiß, fehlten dem schwachen Geschöpf die Kräfte ihn herauszuziehen: der Fisch behielt die Oberhand und riß den Zwerg zu sich hin. Zwar hielt er sich an allen Halmen und Binsen, aber das half nicht viel, er mußte den Bewegungen des Fisches folgen, und war in beständiger Gefahr ins Wasser gezogen zu werden. Die Mädchen kamen zu rechter Zeit, hielten ihn fest und versuchten den Bart von der Schnur loszumachen, aber vergebens, Bart und Schnur waren fest in einander verwirrt. Es blieb nichts übrig als das Scheerchen hervor zu holen und den Bart abzuschneiden, wobei ein kleiner Theil desselben verloren gieng. Als der Zwerg das sah, schrie er sie an, „ist das Manier, ihr Lorche, einem das Gesicht zu schänden? nicht genug, daß ihr mir den Bart unten abgestutzt habt, jetzt schneidet ihr mir den besten Theil davon ab: ich darf mich vor den Meinigen gar nicht sehen lassen. Daß ihr laufen müßtet und die Schuhsohlen verloren hättet!“ Dann holte er einen Sack Perlen, der im Schilfe lag, und ohne ein Wort weiter zu sagen, schleppte er ihn fort und verschwand hinter einem Stein.

Es trug sich zu, daß bald hernach die Mutter die beiden Mädchen nach der Stadt schickte, Zwirn Nadeln Schnüre und Bänder einzukaufen. Der Weg führte sie über eine Heide, auf der hier und da mächtige Felsenstücke zerstreut lagen. Da sahen sie einen großen Vogel in der Luft schweben, der langsam über ihnen kreiste, sich immer tiefer herab senkte und endlich nicht weit bei einem Felsen niederstieß. Gleich darauf hörten sie einen durchdringenden, jämmerlichen Schrei. Sie liefen herzu und sahen mit Schrecken daß der Adler ihren alten Bekannten, den Zwerg, gepackt hatte und ihn forttragen wollte. Die mitleidigen Kinder hielten gleich das Männchen fest und zerrten sich so lange mit dem Adler herum, [302] bis er seine Beute fahren ließ. Als der Zwerg sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, schrie er mit seiner kreischenden Stimme „konntet ihr nicht säuberlicher mit mir umgehen? gerissen habt ihr an meinem dünnen Röckchen daß es überall zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und täppisches Gesindel, das ihr seid!“ Dann nahm er einen Sack mit Edelsteinen und schlüpfte wieder unter den Felsen in seine Höhle. Die Mädchen waren an seinen Undank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort und verrichteten ihr Geschäft in der Stadt. Als sie beim Heimweg wieder auf die Heide kamen, überraschten sie den Zwerg, der auf einem reinlichen Plätzchen seinen Sack mit Edelsteinen ausgeschüttet und nicht gedacht hatte daß so spät noch jemand daher kommen würde. Die Abendsonne schien über die glänzenden Steine, sie schimmerten und leuchteten so prächtig in allen Farben, daß die Kinder stehenblieben und sie betrachteten. „Was steht ihr da und habt Maulaffen feil!“ schrie der Zwerg, und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberroth vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ und ein schwarzer Bär aus dem Walde herbei trabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Bär war schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst „lieber Herr Bär, verschont mich, ich will euch alle meine Schätze geben, sehet, die schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmächtigen Kerl? ihr spürt mich nicht zwischen den Zähnen: da, die beiden gottlosen Mädchen packt, das sind für euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.“ Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr.

Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach „Schneeweißchen und Rosenroth, fürchtet euch nicht, wartet [303] ich will mit euch gehen.“ Da erkannten sie seine Stimme und blieben stehen, und als der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand da als ein schöner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. „Ich bin eines Königs Sohn,“ sprach er, „und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.“

Schneeweißchen ward mit ihm vermählt und Rosenroth mit seinem Bruder und sie theilten die großen Schätze mit einander, die der Zwerg in seine Höhle zusammen getragen hatte. Die alte Mutter lebte noch lange Jahre ruhig und glücklich bei ihren Kindern. Die zwei Rosenbäumchen aber nahm sie mit, und sie standen vor ihrem Fenster und trugen jedes Jahr die schönsten Rosen, weiß und roth.

Der Liebste Roland

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 56 – Gast: Jan Dotzlaw


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56.Der Liebste Roland

Es war einmal eine Frau, die war eine rechte Hexe, und hatte zwei Töchter, eine häßlich und böse, und die liebte sie, weil sie ihre rechte Tochter war, und eine schön und gut, die haßte sie, weil sie ihre Stieftochter war. Zu einer Zeit hatte die Stieftochter eine schöne Schürze, die der andern gefiel, so daß sie neidisch war und ihrer Mutter sagte sie wollte und müßte die Schürze haben. „Sei still, mein Kind,“ sprach die Alte, „du sollst sie auch haben. Deine Stiefschwester hat längst den Tod verdient, heute Nacht wenn sie schläft, so komm ich und haue ihr den Kopf ab. Sorge nur daß du hinten ins Bett zu liegen kommst, und schieb sie recht vornen hin.“ Um das arme Mädchen war es geschehen, wenn es nicht gerade in einer Ecke gestanden und alles mit angehört hätte. Es durfte den ganzen Tag nicht zur Thüre hinaus, und als Schlafenszeit gekommen war, mußte es zuerst ins Bett steigen, damit sie sich hinten hin legen konnte; als sie aber eingeschlafen war, da schob es sie sachte vornen hin und nahm den Platz hinten an der Wand. In der Nacht kam die Alte geschlichen, in der rechten Hand hielt sie eine Axt, mit der linken fühlte sie erst ob auch jemand vornen lag, und dann faßte sie die Axt mit beiden Händen, hieb und hieb ihrem eigenen Kinde den Kopf ab.

Als sie fort gegangen war, stand das Mädchen auf, und gieng zu seinem Liebsten, der Roland hieß, und klopfte an seine Thüre. Als er heraus kam, sprach sie zu ihm „höre, liebster Roland, wir müssen eilig flüchten, die Stiefmutter hat mich todtschlagen wollen, [286] hat aber ihr eigenes Kind getroffen. Kommt der Tag, und sie sieht was sie gethan hat, so sind wir verloren.“ „Aber ich rathe dir,“ sagte Roland, „daß du erst ihren Zauberstab wegnimmst, sonst können wir uns nicht retten, wenn sie uns nachsetzt und verfolgt.“ Das Mädchen holte den Zauberstab, und dann nahm es den todten Kopf und tröpfelte drei Blutstropfen auf die Erde, einen vors Bett, einen in die Küche, und einen auf die Treppe. Darauf eilte es mit seinem Liebsten fort.

Als nun am Morgen die alte Hexe aufgestanden war, rief sie ihrer Tochter, und wollte ihr die Schürze geben, aber sie kam nicht. Da rief sie „wo bist du?“ „Ei, hier auf der Treppe, da kehr ich,“ antwortete der eine Blutstropfen. Die Alte gieng hinaus, sah aber niemand auf der Treppe und rief abermals „wo bist du?“ „Ei, hier in der Küche, da wärm ich mich“ rief der zweite Blutstropfen. Sie gieng in die Küche, aber sie fand niemand. Da rief sie noch einmal „wo bist du?“ „Ach, hier im Bette, da schlaf ich“ rief der dritte Blutstropfen. Sie gieng in die Kammer ans Bett. Was sah sie da? ihr eigenes Kind, das in seinem Blute schwamm, und dem sie selbst den Kopf abgehauen hatte.

Die Hexe gerieth in Wuth, sprang ans Fenster, und da sie weit in die Welt schauen konnte, erblickte sie ihre Stieftochter, die mit ihrem Liebsten Roland fort eilte. „Das soll euch nichts helfen,“ rief sie, „wenn ihr auch schon weit weg seid, ihr entflieht mir doch nicht.“ Sie zog ihre Meilenstiefeln an, in welchem sie mit jedem Schritt eine Stunde machte, und es dauerte nicht lange, so hatte sie beide eingeholt. Das Mädchen aber, wie es die Alte daher schreiten sah, verwandelte mit dem Zauberstab seinen Liebsten Roland in einen See, sich selbst aber in eine Ente, die mitten auf dem See schwamm. Die Hexe stellte sich ans Ufer, warf Brotbrocken hinein und gab sich alle Mühe die Ente herbeizulocken: aber die Ente ließ sich nicht locken, und die Alte mußte Abends [287] unverrichteter Sache wieder umkehren. Darauf nahm das Mädchen mit seinem Liebsten Roland wieder die natürliche Gestalt an, und sie giengen die ganze Nacht weiter bis zu Tagesanbruch. Da verwandelte sich das Mädchen in eine schöne Blume, die mitten in einer Dornhecke stand, seinen Liebsten Roland aber in einen Geigenspieler. Nicht lange, so kam die Hexe herangeschritten und sprach zu dem Spielmann „lieber Spielmann, darf ich mir wohl die schöne Blume abbrechen?“ „O ja,“ antwortete er, „ich will dazu aufspielen.“ Als sie nun mit Hast in die Hecke kroch und die Blume brechen wollte, denn sie wußte wohl wer die Blume war, so fieng er an aufzuspielen, und, sie mochte wollen oder nicht, sie mußte tanzen, denn es war ein Zaubertanz. Je schneller er spielte, desto gewaltigere Sprünge mußte sie machen, und die Dornen rissen ihr die Kleider vom Leibe, stachen sie blutig und wund, und da er nicht aufhörte, mußte sie so lange tanzen bis sie todt liegen blieb.

Als sie nun erlöst waren, sprach Roland „nun will ich zu meinem Vater gehen und die Hochzeit bestellen.“ „So will ich derweil hier bleiben,“ sagte das Mädchen, „und auf dich warten, und damit mich niemand erkennt, will ich mich in einen rothen Feldstein verwandeln.“ Da gieng Roland fort, und das Mädchen stand als ein rother Stein auf dem Felde und wartete auf seinen Liebsten. Als aber Roland heim kam, gerieth er in die Fallstricke einer andern, die es dahin brachte, daß er das Mädchen vergaß. Das arme Mädchen stand lange Zeit, als er aber endlich gar nicht wieder kam, so ward es traurig und verwandelte sich in eine Blume und dachte „es wird ja wohl einer daher gehen und mich umtreten.“

Es trug sich aber zu, daß ein Schäfer auf dem Felde seine Schafe hütete und die Blume sah, und weil sie so schön war, so brach er sie ab, nahm sie mit sich, und legte sie in seinen Kasten. [288] Von der Zeit gieng es wunderlich in des Schäfers Hause zu. Wenn er Morgens aufstand, so war schon alle Arbeit gethan: die Stube war gekehrt, Tisch und Bänke abgeputzt, Feuer auf den Herd gemacht, und Wasser getragen; und Mittags, wenn er heim kam, war der Tisch gedeckt und ein gutes Essen aufgetragen. Er konnte nicht begreifen wie das zugieng, denn er sah niemals einen Menschen in seinem Haus, und es konnte sich auch niemand in der kleinen Hütte versteckt haben. Die gute Aufwartung gefiel ihm freilich, aber zuletzt ward ihm doch angst, so daß er zu einer weisen Frau gieng und sie um Rath fragte. Die weise Frau sprach „es steckt Zauberei dahinter; gib einmal Morgens in aller Frühe acht ob sich etwas in der Stube regt, und wenn du etwas siehst, es mag sein was es will, so wirf schnell ein weißes Tuch darüber, dann wird der Zauber gehemmt.“ Der Schäfer that wie sie gesagt hatte, und am andern Morgen, eben als der Tag anbrach, sah er wie sich der Kasten aufthat und die Blume heraus kam. Schnell sprang er hinzu und warf ein weißes Tuch darüber. Alsbald war die Verwandlung vorbei, und ein schönes Mädchen stand vor ihm, das bekannte ihm daß es die Blume gewesen wäre und seinen Haushalt bisher besorgt hätte. Es erzählte ihm sein Schicksal, und weil es ihm gefiel, fragte er ob es ihn heirathen wollte, aber es antwortete „nein,“ denn es wollte seinem Liebsten Roland, obgleich er es verlassen hatte, doch treu bleiben: aber es versprach daß es nicht weggehen, sondern ihm fernerhin Haus halten wollte.

Nun kam die Zeit heran daß Roland Hochzeit halten sollte: da ward nach altem Brauch im Lande bekannt gemacht daß alle Mädchen sich einfinden und zu Ehren des Brautpaars singen sollten. Das treue Mädchen, als es davon hörte, ward so traurig daß es meinte das Herz im Leib würde ihm zerspringen, und wollte nicht hingehen, aber die andern kamen und holten es herbei. Wenn aber die Reihe kam daß es singen sollte, so trat es zurück, [289] bis es allein noch übrig war, da konnte es nicht anders. Aber wie es seinen Gesang anfieng, und er zu Rolands Ohren kam, so sprang er auf, und rief „die Stimme kenne ich, das ist die rechte Braut, eine andere begehr ich nicht.“ Alles, was er vergessen hatte und ihm aus dem Sinn verschwunden war, das war plötzlich in sein Herz wieder heim gekommen. Da hielt das treue Mädchen Hochzeit mit seinem Liebsten Roland, und war sein Leid zu Ende und fieng seine Freude an.

Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 54 – Gast: Jonas Mahr


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Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein.

Es waren einmal drei Brüder, die waren immer tiefer in Armuth gerathen, und endlich war die Noth so groß, daß sie Hunger leiden mußten und nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten. Da sprachen sie „es kann so nicht bleiben: es ist besser wir gehen in die Welt und suchen unser Glück.“ Sie machten sich also auf, und waren schon weite Wege und über viele Grashälmerchen gegangen, aber das Glück war ihnen noch nicht begegnet. Da gelangten sie eines Tags in einen großen Wald, und mitten darin war ein Berg, und als sie näher kamen, so sahen sie daß der Berg ganz von Silber war. Da sprach der älteste „nun habe ich das gewünschte Glück gefunden und verlange kein größeres.“ Er nahm von dem Silber so viel er nur tragen konnte, kehrte dann um und gieng wieder nach Haus. Die beiden andern aber sprachen „wir verlangen vom Glück noch etwas mehr als bloßes Silber,“ rührten es nicht an und giengen weiter. Nachdem sie abermals ein paar Tage gegangen waren, so kamen sie zu einem Berg, der ganz von Gold war. Der zweite Bruder stand, besann sich und war ungewiß. „Was soll ich thun?“ sprach er, „soll ich mir von dem Golde so viel nehmen, daß ich mein Lebtag genug habe, oder soll ich weiter gehen?“ Endlich faßte er einen Entschluß, füllte in seine Taschen was hinein wollte, sagte seinem Bruder Lebewohl und gieng heim. Der dritte aber sprach „Silber und Gold das rührt mich nicht: ich will meinem Glück nicht absagen, vielleicht ist mir etwas besseres beschert.“ Er zog weiter, und als er drei [275] Tage gegangen war, so kam er in einen Wald, der noch größer war als die vorigen und gar kein Ende nehmen wollte; und da er nichts zu essen und zu trinken fand, so war er nahe daran zu verschmachten. Da stieg er auf einen hohen Baum, ob er da oben Waldes Ende sehen möchte, aber so weit sein Auge reichte sah er nichts als die Gipfel der Bäume. Da begab er sich von dem Baume wieder herunter zu steigen, aber der Hunger quälte ihn, und er dachte „wenn ich nur noch einmal meinen Leib ersättigen könnte.“ Als er herab kam, sah er mit Erstaunen unter dem Baum einen Tisch, der mit Speisen reichlich besetzt war, die ihm entgegen dampften. „Diesmal,“ sprach er, „ist mein Wunsch zu rechter Zeit erfüllt worden,“ und ohne zu fragen wer das Essen gebracht und wer es gekocht hätte, nahte er sich dem Tisch und aß mit Lust bis er seinen Hunger gestillt hatte. Als er fertig war, dachte er „es wäre doch Schade wenn das feine Tischtüchlein hier in dem Walde verderben sollte,“ legte es säuberlich zusammen und steckte es ein. Darauf gieng er weiter, und Abends, als der Hunger sich wieder regte, wollte er sein Tüchlein auf die Probe stellen, breitete es aus und sagte „so wünsche ich daß du abermals mit guten Speisen besetzt wärest,“ und kaum war der Wunsch über seine Lippen gekommen, so standen so viel Schüsseln mit dem schönsten Essen darauf, als nur Platz hatten. „Jetzt merke ich,“ sagte er, „in welcher Küche für mich gekocht wird; du sollst mir lieber sein als der Berg von Silber und Gold,“ denn er sah wohl daß es ein Tüchleindeckdich war. Das Tüchlein war ihm aber doch nicht genug, um sich daheim zur Ruhe zu setzen, sondern er wollte lieber noch in der Welt herum wandern und weiter sein Glück versuchen. Eines Abends traf er in einem einsamen Walde einen schwarz bestaubten Köhler, der brannte da Kohlen, und hatte Kartoffeln am Feuer stehen, damit wollte er seine Mahlzeit halten. „Guten Abend, du Schwarzamsel,“ sagte er, „wie geht dirs in [276] deiner Einsamkeit?“ „Einen Tag wie den andern,“ erwiederte der Köhler, „und jeden Abend Kartoffeln; hast du Lust dazu und willst mein Gast sein?“ „Schönen Dank,“ antwortete der Reisende, „ich will dir die Mahlzeit nicht wegnehmen, du hast auf einen Gast nicht gerechnet, aber wenn du mit mir vorlieb nehmen willst, so sollst du eingeladen sein.“ „Wer soll dir anrichten?“ sprach der Köhler, „ich sehe daß du nichts bei dir hast, und ein paar Stunden im Umkreis ist niemand, der dir etwas geben könnte.“ „Und doch solls ein Essen sein,“ antwortete er, „so gut, wie du noch keins gekostet hast.“ Darauf holte er sein Tüchlein aus dem Ranzen, breitete es auf die Erde, und sprach „Tüchlein, deck dich,“ und alsbald stand da Gesottenes und Gebratenes, und war so warm als wenn es eben aus der Küche käme. Der Köhler machte große Augen, ließ sich aber nicht lange bitten, sondern langte zu und schob immer größere Bissen in sein schwarzes Maul hinein. Als sie abgegessen hatten, schmunzelte der Köhler und sagte „hör, dein Tüchlein hat meinen Beifall, das wäre so etwas für mich in dem Walde, wo mir niemand etwas gutes kocht. Ich will dir einen Tausch vorschlagen, da in der Ecke hängt ein Soldatenranzen, der zwar alt und unscheinbar ist, in dem aber wunderbare Kräfte stecken; da ich ihn doch nicht mehr brauche, so will ich ihn für das Tüchlein geben.“ „Erst muß ich wissen was das für wunderbare Kräfte sind,“ erwiederte er. „Das will ich dir sagen,“ antwortete der Köhler, „wenn du mit der Hand darauf klopfst, so kommt jedesmal ein Gefreiter mit sechs Mann, die haben Ober- und Untergewehr, und was du befiehlst, das vollbringen sie.“ „Meinetwegen,“ sagte er „wenns nicht anders sein kann, so wollen wir tauschen,“ gab dem Köhler das Tüchlein, hob den Ranzen von dem Haken, hieng ihn um und nahm Abschied. Als er ein Stück Wegs gegangen war, wollte er die Wunderkräfte seines Ranzens versuchen und klopfte darauf. Alsbald traten die sieben Kriegshelden [277] vor ihn, und der Gefreite sprach „was verlangt mein Herr und Gebieter?“ „Marschiert im Eilschritt zu dem Köhler und fordert mein Wünschtüchlein zurück.“ Sie machten links um, und gar nicht lange, so brachten sie das Verlangte und hatten es dem Köhler, ohne viel zu fragen, abgenommen. Er hieß sie wieder abziehen, gieng weiter und hoffte das Glück würde ihm noch heller scheinen. Bei Sonnenuntergang kam er zu einem andern Köhler, der bei dem Feuer seine Abendmahlzeit bereitete. „Willst du mit mir essen,“ sagte der rußige Geselle, „Kartoffeln mit Salz aber ohne Schmalz, so setz dich zu mir nieder.“ „Nein,“ antwortete er, „für diesmal sollst du mein Gast sein,“ deckte sein Tüchlein auf, das gleich mit den schönsten Gerichten besetzt war. Sie aßen und tranken zusammen und waren guter Dinge. Nach dem Essen sprach der Kohlenbrenner „da oben auf der Kammbank liegt ein altes abgegriffenes Hütlein, das hat seltsame Eigenschaften: wenn das einer aufsetzt und dreht es auf dem Kopf herum, so gehen die Feldschlangen, als wären zwölfe neben einander aufgeführt, und schießen alles darnieder, daß niemand dagegen bestehen kann. Mir nützt das Hütlein nichts und für dein Tischtuch will ichs wohl hingeben.“ „Das läßt sich hören,“ antwortete er, nahm das Hütlein, setzte es auf und ließ sein Tüchlein zurück. Kaum aber war er ein Stück Wegs gegangen, so klopfte er auf seinen Ranzen, und seine Soldaten mußten ihm das Tüchlein wieder holen. „Es kommt eins zum andern,“ dachte er, „und es ist mir, als wäre mein Glück noch nicht zu Ende.“ Seine Gedanken hatten ihn auch nicht betrogen. Nachdem er abermals einen Tag gegangen war, kam er zu einem dritten Köhler, der ihn nicht anders als die vorigen zu ungeschmelzten Kartoffeln einlud. Er ließ ihn aber von seinem Wunschtüchlein mitessen, und das schmeckte dem Köhler so gut, daß er ihm zuletzt ein Hörnlein dafür bot, das noch ganz andere Eigenschaften hatte als das Hütlein. Wenn man darauf [278] blies, so fielen alle Mauern und Festungswerke, endlich alle Städte und Dörfer übern Haufen. Er gab dem Köhler zwar das Tüchlein dafür, ließ sichs aber hernach von seiner Mannschaft wieder abfordern, so daß er endlich Ranzen, Hütlein und Hörnlein beisammen hatte. „Jetzt,“ sprach er, „bin ich ein gemachter Mann, und es ist Zeit, daß ich heimkehre und sehe wie es meinen Brüdern ergeht.“

Als er daheim anlangte, hatten sich seine Brüder von ihrem Silber und Gold ein schönes Haus gebaut und lebten in Saus und Braus. Er trat bei ihnen ein, weil er aber in einem halb zerrissenen Rock kam, das schäbige Hütlein auf dem Kopf und den alten Ranzen auf dem Rücken, so wollten sie ihn nicht für ihren Bruder anerkennen. Sie spotteten und sagten „du gibst dich für unsern Bruder aus, der Silber und Gold verschmähte, und für sich ein besseres Glück verlangte: der kommt gewiß in voller Pracht als ein mächtiger König angefahren, nicht als ein Bettelmann,“ und jagten ihn zur Thüre hinaus. Da gerieth er in Zorn, klopfte auf seinen Ranzen so lange bis hundert und funfzig Mann in Reih und Glied vor ihm standen. Er befahl ihnen das Haus seiner Brüder zu umzingeln, und zwei sollten Haselgerten mitnehmen und den beiden übermüthigen die Haut auf dem Leib so lange weich gerben, bis sie wüßten wer er wäre. Es entstand ein gewaltiger Lärm, die Leute liefen zusammen und wollten den beiden in der Noth Beistand leisten, aber sie konnten gegen die Soldaten nichts ausrichten. Es geschah endlich dem Könige Meldung davon der ward unwillig, und ließ einen Hauptmann mit seiner Schaar ausrücken, der sollte den Ruhestörer aus der Stadt jagen: aber der Mann mit dem Ranzen hatte bald eine größere Mannschaft zusammen, die schlug den Hauptmann mit seinen Leuten zurück, daß sie mit blutigen Nasen abziehen mußten. Der König sprach „der hergelaufene Kerl ist noch zu bändigen,“ und schickte am andern [279] Tage eine größere Schaar gegen ihn aus, aber sie konnte noch weniger ausrichten. Er stellte noch mehr Volk entgegen, und um noch schneller fertig zu werden, drehte er ein paarmal sein Hütlein auf dem Kopfe herum: da fieng das schwere Geschütz an zu spielen, und des Königs Leute wurden geschlagen und in die Flucht gejagt. „Jetzt mache ich nicht eher Frieden,“ sprach er, „als bis mir der König seine Tochter zur Frau gibt, und ich in seinem Namen das ganze Reich beherrsche.“ Das ließ er dem König verkündigen, und dieser sprach zu seiner Tochter „Muß ist eine harte Nuß: was bleibt mir anders übrig, als daß ich thue was er verlangt? will ich Frieden haben und die Krone auf meinem Haupte behalten, so muß ich dich hingeben.“

Die Hochzeit ward also gefeiert, aber die Königstochter war verdrießlich daß ihr Gemahl ein gemeiner Mann war, der einen schäbigen Hut trug und einen alten Ranzen umhängen hatte. Sie wäre ihn gerne wieder los gewesen und sann Tag und Nacht wie sie das bewerkstelligen könnte. Da dachte sie „sollten seine Wunderkräfte wohl in dem Ranzen stecken?“ verstellte sich und liebkoste ihm, und als sein Herz weich geworden war, sprach sie „wenn du nur den schlechten Ranzen ablegen wolltest, er verunziert dich so sehr, daß ich mich deiner schämen muß.“ „Liebes Kind,“ antwortete er, „dieser Ranzen ist mein größter Schatz, so lange ich den habe, fürchte ich keine Macht der Welt;“ und verrieth ihr mit welchen Wunderkräften er begabt war. Da fiel sie ihm um den Hals, als wenn sie ihn küssen wollte, nahm ihm aber mit Behendigkeit den Ranzen von der Schulter und lief damit fort. Sobald sie allein war, klopfte sie darauf und befahl den Kriegsleuten sie sollten ihren vorigen Herrn festnehmen und aus dem königlichen Palast fortführen. Sie gehorchten, und die falsche Frau ließ noch mehr Leute hinter ihm her ziehen, die ihn ganz zum Lande hinaus jagen sollten. Da wäre er verloren gewesen, wenn er nicht [280] das Hütlein gehabt hätte. Kaum aber waren seine Hände frei, so schwenkte er es ein paar mal: alsbald fieng das Geschütz an zu donnern und schlug alles nieder, und die Königstochter mußte selbst kommen und um Gnade bitten. Weil sie so beweglich bat und sich zu bessern versprach, so ließ er sich überreden und bewilligte ihr Frieden. Sie that freundlich mit ihm, stellte sich an als hätte sie ihn sehr lieb und wußte ihn nach einiger Zeit so zu bethören daß er ihr vertraute wenn auch einer den Ranzen in seine Gewalt bekäme, so könnte er doch nichts gegen ihn ausrichten so lange das alte Hütlein noch sein wäre. Als sie das Geheimnis wußte, wartete sie bis er eingeschlafen war, dann nahm sie ihm das Hütlein weg, und ließ ihn hinaus auf die Straße werfen. Aber noch war ihm das Hörnlein übrig, und in großem Zorne blies er aus allen Kräften hinein. Alsbald fiel alles zusammen, Mauern, Festungswerk, Städte und Dörfer, und schlugen den König und die Königstochter todt. Und wenn er das Hörnlein nicht abgesetzt und nur noch ein wenig länger geblasen hätte, so wäre alles über den Haufen gestürzt und kein Stein auf dem andern geblieben. Da widerstand ihm niemand mehr, und er setzte sich zum König über das ganze Reich.

König Drosselbart

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 52 – Gästin: Kati Fränzel


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52.
König Drosselbart

Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen schön, aber dabei so stolz und übermüthig, daß ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab, und trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen, und ladete dazu aus der Nähe und Ferne die heirathslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet; erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute. Nun ward die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick, „das Weinfaß!“ sprach sie. Der andere zu lang, „lang und schwank hat keinen Gang.“ Der dritte zu kurz, „kurz und dick hat kein Geschick.“ Der vierte zu blaß, „der bleiche Tod!“ der fünfte zu roth, „der Zinshahn!“ der sechste war nicht gerad genug, „grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!“ Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand, und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. „Ei,“ rief sie und lachte, „der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel;“ und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart. Der alte König aber, als er sah daß seine Tochter nichts that als über die Leute spotten, und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Thüre käme.

Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er „laßt ihn herauf kommen.“ Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen verlumpten Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter, und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach „dein Gesang hat mir so wohl gefallen, daß ich dir meine Tochter da zur Frau geben will.“ Die Königstochter erschrack, aber der König sagte „ich habe den Eid gethan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben, den will ich auch halten.“ Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie mußte sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König, „nun schickt sichs nicht, daß du als ein Bettelweib noch länger in meinem Schloß bleibst, du kannst nur mit deinem Manne fortziehen.“

Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie mußte mit ihm zu Fuß fort gehen. Als sie in einen großen Wald kamen, da fragte sie

„ach, wem gehört der schöne Wald?“
„Der gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär er dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“
Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder

„wem gehört die schöne grüne Wiese?“
„Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär sie dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“
[260] Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder

„wem gehört diese schöne große Stadt?“
„Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär sie dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“
„Es gefällt mir gar nicht,“ sprach der Spielmann, „daß du dir immer einen andern zum Mann wünschest: bin ich dir nicht gut genug?“ Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie

„ach, Gott, was ist das Haus so klein!
wem mag das elende winzige Häuschen sein?“
Der Spielmann antwortete „das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.“ Sie mußte sich bücken, damit sie zu der niedrigen Thür hinein kam. „Wo sind die Diener?“ sprach die Königstochter. „Was Diener!“ antwortete der Bettelmann, „du mußt selber thun was du willst gethan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, daß du mir mein Essen kochst; ich bin ganz müde.“ Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen, daß es noch so leidlich gieng. Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett: aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht, und zehrten ihren Vorrath auf. Da sprach der Mann „Frau, so gehts nicht länger, daß wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten.“ Er gieng aus, schnitt Weiden, und brachte sie heim: da fieng sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. „Ich sehe das geht nicht,“ sprach der Mann, „spinn lieber, vielleicht kannst du das besser.“ Sie setzte sich hin, und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunter lief. „Siehst [261] du,“ sprach der Mann, „du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ichs versuchen, und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen: du sollst dich auf den Markt setzen, und die Waare feil halten.“ „Ach,“ dachte sie, „wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen, und sehen mich da sitzen und feil halten, wie werden sie mich verspotten!“ Aber es half nichts, sie mußte sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Das erstemal gings gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gern ihre Waare ab, und bezahlten was sie forderte: ja, viele gaben ihr das Geld, und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem erworbenen so lang es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein. Sie setzte sich damit an eine Ecke des Marktes, und stellte es um sich her, und hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar daher gejagt, und ritt gerade zu in die Töpfe hinein, daß alles in tausend Scherben zersprang. Sie fieng an zu weinen und wußte vor Angst nicht was sie anfangen sollte. „Ach, wie wird mirs ergehen!“ rief sie, „was wird mein Mann dazu sagen!“ Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. „Wer setzt sich auch an die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr!“ sprach der Mann, „laß nur das Weinen, ich sehe wohl du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in unseres Königs Schloß gewesen und habe gefragt ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir versprochen sie wollten dich dazu nehmen; dafür bekommst du freies Essen.“

Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, mußte dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit thun. Sie machte sich in beiden Taschen ein Töpfchen fest, darin brachte sie nach Haus was ihr von dem übrig gebliebenen zu Theil ward, und davon nährten sie sich. Es trug sich zu, daß die Hochzeit des ältesten Königssohnes sollte gefeiert werden, da gieng die arme [262] Frau hinauf, stellte sich vor die Saalthüre und wollte zusehen. Als nun die Lichter angezündet waren, und immer einer schöner als der andere hereintrat, und alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem Herzen an ihr Schicksal, und verwünschte ihren Stolz und Übermuth, der sie erniedrigt und in so große Armuth gestürzt hatte. Von den köstlichen Speisen, die da ein und ausgetragen wurden, und von welchen der Geruch zu ihr aufstieg, warfen ihr Diener manchmal ein paar Brocken zu, die that sie in ihr Töpfchen, und wollte es heim tragen. Auf einmal trat der Königssohn herein, war in Sammt und Seide gekleidet und hatte goldene Ketten um den Hals. Und als er die schöne Frau in der Thüre stehen sah, ergriff er sie bei der Hand, und wollte mit ihr tanzen, aber sie weigerte sich und erschrack, denn sie sah daß es der König Drosselbart war, der um sie gefreit und den sie mit Spott abgewiesen hatte. Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal: da zerriß das Band, an welchem die Taschen hiengen, und die Töpfe fielen heraus, daß die Suppe floß und die Brocken umher sprangen. Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten, und sie war so beschämt, daß sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde gewünscht hätte. Sie sprang zur Thüre hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein, und brachte sie zurück: und wie sie ihn ansah, war es wieder der König Drosselbart. Er sprach ihr freundlich zu, „fürchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind eins: dir zu Liebe habe ich mich so verstellt, und der Husar, der dir die Töpfe entzwei geritten hat, bin ich auch gewesen. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen, und dich für deinen Hochmuth zu strafen, womit du mich verspottet hast.“ Da weinte sie bitterlich und sagte „ich habe großes Unrecht gehabt und bin nicht werth deine Frau zu sein.“ Er aber sprach „tröste dich, die bösen Tage sind vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern.“ Da kamen die Kammerfrauen und thaten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof, und wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart, und die rechte Freude fieng jetzt erst an. Ich wollte, du und ich, wir wären auch dabei gewesen.

Fundevogel

Gebr. Grimm (1857) – Märchen 51 – Gast: Stefan Baumann


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https://de.wikisource.org/wiki/Fundevogel_(1857)


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51.
Fundevogel.

Es war einmal ein Förster, der gieng in den Wald auf die Jagd, und wie er in den Wald kam, hörte er schreien, als obs ein kleines Kind wäre. Er gieng dem Schreien nach und kam endlich zu einem hohen Baum, und oben darauf saß ein kleines Kind. Es war aber die Mutter mit dem Kinde unter dem Baum eingeschlafen, und ein Raubvogel hatte das Kind in ihrem Schooße gesehen: da war er hinzu geflogen, hatte es mit seinem Schnabel weggenommen und auf den hohen Baum gesetzt.

Der Förster stieg hinauf, holte das Kind herunter und dachte „du willst das Kind mit nach Haus nehmen und mit deinem Lenchen zusammen aufziehn.“ Er brachte es also heim, und die zwei Kinder wuchsen mit einander auf. Das aber, das auf dem Baum gefunden worden war, und weil es ein Vogel weggetragen hatte, wurde Fundevogel geheißen. Fundevogel und Lenchen hatten sich so lieb, nein so lieb, daß wenn eins das andere nicht sah, ward es traurig.

Der Förster hatte aber eine alte Köchin, die nahm eines Abends zwei Eimer und fieng an Wasser zu schleppen, und gieng nicht einmal sondern vielemal hinaus an den Brunnen. Lenchen sah es und sprach „hör einmal, alte Sanne, was trägst du denn so viel Wasser zu?“ „Wenn dus keinem Menschen wieder sagen willst, so will ich dirs wohl sagen.“ Da sagte Lenchen nein, sie wollte es keinem Menschen wiedersagen, so sprach die Köchin „morgen früh, wenn der Förster auf die Jagd ist, da koche ich das Wasser, und [256] wenns im Kessel siedet, werfe ich den Fundevogel nein, und will ihn darin kochen.“

Des andern Morgens in aller Frühe stieg der Förster auf und gieng auf die Jagd, und als er weg war, lagen die Kinder noch im Bett. Da sprach Lenchen zum Fundevogel „verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht:“ so sprach der Fundevogel „nun und nimmermehr.“ Da sprach Lenchen „ich will es dir nur sagen, die alte Sanne schleppte gestern Abend so viel Eimer Wasser ins Haus, da fragte ich sie warum sie das thäte, so sagte sie, wenn ichs keinem Menschen sagen wollte, so wollte sie es mir wohl sagen: sprach ich, ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen: da sagte sie, morgen früh, wenn der Vater auf die Jagd wäre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden, dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufsteigen, uns anziehen und zusammen fortgehen.“

Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und giengen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, gieng die Köchin in die Schlafkammer, wollte den Fundevogel holen und ihn hinein werfen. Aber, als sie hinein kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort: da wurde ihr grausam angst, und sie sprach vor sich „was will ich nun sagen, wenn der Förster heim kommt und sieht daß die Kinder weg sind? Geschwind hinten nach, daß wir sie wieder kriegen.“

Da schickte die Köchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einlangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lenchen zum Fundevogel „verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht.“ So sprach Fundevogel „nun und nimmermehr.“ Da sagte Lenchen „werde du zum Rosenstöckchen, und ich zum Röschen darauf.“ Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da als ein Rosenstrauch und ein Röschen oben drauf, [257] die Kinder aber nirgend. Da sprachen sie „hier ist nichts zu machen,“ und giengen heim und sagten der Köchin sie hätten nichts in der Welt gesehen als nur ein Rosenstöckchen und ein Röschen oben darauf. Da schalt die alte Köchin, „ihr Einfaltspinsel, ihr hättet das Rosenstöckchen sollen entzwei schneiden und das Röschen abbrechen und mit nach Haus bringen, geschwind und thuts.“ Sie mußten also zum zweitenmal hinaus und suchen. Die Kinder sahen sie aber von weitem kommen, da sprach Lenchen „Fundevogel, verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht.“ Fundevogel sagte „nun und nimmermehr.“ Sprach Lenchen „so werde du eine Kirche und ich die Krone darin.“ Wie nun die drei Knechte dahin kamen, war nichts da als eine Kirche und eine Krone darin. Sie sprachen also zu einander „was sollen wir hier machen, laßt uns nach Hause gehen.“ Wie sie nach Haus kamen, fragte die Köchin ob sie nichts gefunden hätten: so sagten sie nein, sie hätten nichts gefunden als eine Kirche, da wäre eine Krone darin gewesen. „Ihr Narren,“ schalt die Köchin, „warum habt ihr nicht die Kirche zerbrochen und die Krone mit heim gebracht?“ Nun machte sich die alte Köchin selbst auf die Beine und gieng mit den drei Knechten den Kindern nach. Die Kinder sahen aber die drei Knechte von weitem kommen, und die Köchin wackelte hinten nach. Da sprach Lenchen „Fundevogel, verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht.“ Da sprach der Fundevogel „nun und nimmermehr.“ Sprach Lenchen „werde zum Teich und ich die Ente drauf.“ Die Köchin aber kam herzu, und als sie den Teich sahe, legte sie sich drüber hin und wollte ihn aussaufen. Aber die Ente kam schnell geschwommen, faßte sie mit ihrem Schnabel beim Kopf und zog sie ins Wasser hinein: da mußte die alte Hexe ertrinken. Da giengen die Kinder zusammen nach Haus und waren herzlich froh; und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.